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Implantate, Modelle und Instrumente nach Maß am „Point-of-Care“: Eröffnung des 3D-Centers an der münsterschen Universitätsmedizin

Nur mit dem Weitwinkel einzufangen: Der Spitzen der münsterschen Universitätsmedizin und die Betreuer des neuen 3D-Centers vor dessen Herzstück, einem 1,4 t schweren Großgerät (v.l.n.r.: Dipl.-Des. Max Tönnemann, PD Dr. Dr. Martin Schulze, Dekan Prof. Frank Ulrich Müller, Ärztl. Direktor Prof. Alex W. Friedrich, Klinikdirektor Prof. Georg Gosheger, Kaufm. Direktor Dr. Christoph Hoppenheit) (Foto: Uni MS/M. Heine)

Ein Superlativ noch obendrauf: Die 3D-Center ist die erste Einrichtung weltweit, die den strengen Anforderungen der Norm ISO/ASTM 52920 entspricht und Medizinprodukte am „Point of Care“, also in unmittelbarer Nähe der Patientenversorgung, herstellen und verwenden darf. Dipl.-Ing. Gregor Reischle (l.) überreichte PD Dr. Dr. Martin Schulze (M.) und Dipl.-Des. Max Tönnemann das Zertifikat (Foto: Uni MS/M. Heine)

Die „Erzeugnisse“ des 3D-Centers werden für sowohl für Forschung und Lehre als auch für den klinischen Einsatz verwendet (Foto: Uni MS/M. Heine)

Münster (mfm/sw) – Der 3D-Druck ist schon fast im Alltag angekommen – und kann doch so viel mehr: zum Beispiel patientenindividuelle Implantate herstellen, ganze Organsysteme, wie das Herz und Teile der Hauptschlagader, abbilden oder individualisierte Bohr- und Sägeschablonen für Knochen für den Einsatz im OP drucken. Wie die Universitätsmedizin am Standort Münster die Zukunftstechnologie künftig für sich nutzen wird, zeigt die Eröffnung einer bundesweit einmaligen Einrichtung: Am Montag [19.02.] wurde das in die Experimentelle Orthopädie an der Medizinischen Fakultät integrierte „3D-Center“ offiziell in Betrieb genommen. Das Center, ist das bislang rund eine Million Euro geflossen ist, soll Kompetenzen und Wissen rund um den 3D-Druck bündeln und so für die medizinische Forschung - und in der Folge für die reguläre Patientenversorgung - verfügbar machen.

Was alles möglich ist, wie das Produkt in den Drucker und wieder herauskommt, steril an den OP-Tisch gelangt und wie sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Patienten profitieren, weiß kaum jemand besser als Center-Leiter PD Dr. Dr. Martin Schulze, der als Arzt und Ingenieur zusammen mit Projektleiter Dipl.-Des. Max Tönnemann das 3D-Center managt. „Bislang verfügten zwar schon einige Abteilungen der Unimedizin über eigene Drucker - allerdings fehlt oft das spezifische Know-how“, so Schulze. Was vor weit mehr als einem Jahrzehnt als Idee mit einem kleinen tragbaren 3D-Drucker für den Schreibtisch und einfachen Knochenmodellen begann, wird nun mit einem ganzen 3D-Center Teil der Digitalen Transformation und ergänzt moderne Verfahren wie Robotik in der Medizin – eine echte Zukunftstechnologie, die auch allen anderen Fachdisziplinen der Universitätsmedizin dienen soll. Allerdings: „Der 3D-Druck als solcher ist nur so gut wie die Köpfe dahinter. Um unseren Kolleginnen und Kollegen konkrete Einsatzmöglichkeiten an die Hand zu geben, die auch wirklich helfen, soll das Center ihnen zeigen, was ‚drin ist‘“, sagt der Leiter der Einrichtung.

Bereits im Jahr 2022 begannen die Vorbereitungen für die beiden neuen Drucker, von denen der kleinere schnell in Betrieb ging. Mit der Anlieferung und Installation des 1,4 Tonnen schweren Großgerätes als Herzstück begann im Sommer 2023 die heiße Phase: Aufwändige Planungen und Umbauarbeiten bei den Räumlichkeiten der Klinik für Allgemeine Orthopädie waren notwendig und zeitweise musste ein Teil der Fassade entfernt werden. Sieben Monate später ist das Zentrum nun im ersten Ausbauschritt einsatzbereit. Eine stets konstante Temperatur von 21 Grad und eine spezifische Luftfeuchtigkeit: Das sind nur einige der Punkte, die für ein qualitativ hochwertiges Ergebnis erfüllt sein müssen. Aufgrund der verschiedenen Drucktechniken, die auf keinen Fall miteinander „in Berührung“ kommen dürfen, ist auch eine räumliche Trennung notwendig: Während der eine Drucker Kunststoff auf einer Pulverbasis verarbeitet, arbeitet der andere mit Flüssigkeit. Um eine Kontamination in jedem Fall zu verhindern, sind die Drucker in verschiedenen Bereichen der Uniklinik verortet, wo den jeweiligen Anforderungen - etwa an Licht und Raumtemperatur - Rechnung getragen werden kann.

Die umfangreichen Vorarbeiten tragen Früchte: Das 3D-Center entspricht den strengen gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung, sodass die druckfrischen Modelle unmittelbar im OP-Saal genutzt werden können. Der Vorteil: „Dass die Behandelnden die Modelle nicht nur zu Übungs- oder Demonstrationszwecken nutzen, sondern sich mit ihrer Hilfe auch während einer laufenden Operation der Arbeitsschritte vergewissern können, zum Beispiel bei einem Eingriff am Becken, erlaubt ein hoch präzises und minimalinvasives Arbeiten. So schaffen wir ein maximales Maß an Sicherheit – für Patienten und ihre Behandelnden“.

Der nächste Schritt ist schon in Planung: Er besteht in Instrumenten, die individuell auf die Patienten zugeschnitten sind. „Mit solchen maßgeschneiderten Instrumenten, wie individuell an die Knochen des Patienten angepasste Zielinstrumenten, sind Säge- und Bohrschritte in präzisem Winkel durchführbar und lassen sich die Schrauben zur stabilen knochenschonenden Implantatverankerung optimal eindrehen. Dadurch sind komplexe Eingriffe, beispielsweise komplizierte Operationen bei Knochentumoren oder auch schwierige Knochenbrüche, deutlich sicherer“, erklärt Schulze. Zwar könne auch die Industrie solche Instrumente entwickeln, „allerdings dauert das seine Zeit – für dringliche Fälle und Notfälle ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Klinik besser aufgestellt“, räumt er ein. Auf lange Sicht sollen auch Implantate hergestellt und genutzt werden können - dafür ist bereits ein weiterer Förderantrag auf dem Weg.

Finanziert wurde das Projekt zum Großteil durch das „REACT“-Programm der EU und die dahinterstehenden Fördergelder. Schulze ergänzt: „Auch ohne eigene ergänzende Mittel der Klinik für Orthopädie, der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums wäre ein solch großes Vorhaben nicht zu realisieren gewesen“. Unterstützt und koordiniert wurde die Beantragung durch das münstersche Unternehmen InnoCoding GmbH. Gerade rechtzeitig zur offiziellen Eröffnung wurde nun der erste additive Fertigungsprozess zertifiziert – womit die münstersche Universitätsmedizin über die erste Klinik weltweit verfügt, die den strengen Anforderungen der Norm ISO/ASTM 52920 entspricht und Medizinprodukte am „Point of Care“, also in unmittelbarer Nähe der Patientenversorgung, herstellen und verwenden darf.

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