Zwi­schen Pro­pa­ganda und Zensur: Das Problem mit R‌T

Das Logo von RT auf einem Smartphonebildschirm vor einer deutschen Flagge
Bild: Alek­san­der Kalka /​ Imago Images

 

 

Seit Anfang März dürfen die Inhalte von RT in der EU nicht mehr ver­brei­tet werden. Zunächst vor­über­ge­hend. Während einige dies als not­wen­di­gen Schritt sehen, um die destruk­tive Wirkung rus­si­scher Staats­pro­pa­ganda ein­zu­däm­men, warnen andere Stimmen vor einer Ein­schrän­kung der Pressefreiheit.

Der staat­li­che Aus­lands­sen­der RT DE (früher RT Deutsch) bittet um Unter­stüt­zung: „Wenn Euch unsere Artikel gefal­len, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid.“ Hin­ter­grund dieses Aufrufs unter den Bei­trä­gen sei, dass die EU „eine kri­ti­sche, nicht pro­west­li­che Infor­ma­ti­ons­quelle zum Schwei­gen“ bringen wolle. „Und dies nicht nur hin­sicht­lich des Ukraine-Kriegs“, so schreibt RT DE weiter.

Ein Para­de­bei­spiel für das Selbst­ver­ständ­nis, das der rus­si­sche Pro­pa­gan­da­sen­der vor sich her trägt: Nur RT sei eine kri­ti­sche Stimme, andere Medien seien hin­ge­gen ideo­lo­gi­sche Sturm­ge­schütze. Mit der media­len Viel­falt in Europa und der tat­säch­li­chen Bericht­erstat­tung von RT hat dieses Selbst­bild aller­dings wenig zu tun. So bedient der rus­si­sche Aus­lands­sen­der seit Jahren radi­kale Ziel­grup­pen, hat neue Maß­stäbe im „False Balan­cing“ gesetzt und zeich­net ein Bild von Deutsch­land, das – bei allen tat­säch­li­chen Pro­ble­men und Kon­flik­ten – in etwa einer Mischung aus geschei­ter­ter oder Schur­ken­staat und Bür­ger­kriegs­land ent­spricht. Der Trick ist dabei nicht die mas­sen­hafte Ver­brei­tung von glas­kla­ren Falsch­mel­dun­gen, sondern vor allem die höchst selek­tive The­men­set­zung, die ein ver­zerr­tes Gesamt­bild in den dun­kels­ten Farben erzeugt. Anhei­zen, pola­ri­sie­ren, spalten – so der destruk­tive Drei­klang, der bei der Auswahl offen­kun­dig beson­ders rele­vant ist.

RT DE: Stich­wort­ge­ber der Corona-Leugner

In der Corona-Pan­de­mie fiel RT DE eben­falls nicht durch im tat­säch­li­chen Sinne kri­ti­sche Bericht­erstat­tung auf, sondern durch krude Bei­träge und reich­lich Auf­merk­sam­keit für „Querdenker“-Demonstrationen, die oft live über­tra­gen wurden, oder durch aus­führ­li­che Berichte über den „Corona-Aus­schuss“, in dem Impf­skep­ti­ker ihr Stell­dich­ein gaben. Mit diesem Angebot ent­wi­ckelte sich der Sender zu einem der wich­tigs­ten Stich­wort­ge­ber im Corona-Leugner- und „Querdenker“-Milieu. Bei AfD-Anhän­gern war der staat­li­che Aus­lands­sen­der ohnehin bereits populär. Auch, weil RT DE gerne eine Bühne bot für abso­lute Rand­fi­gu­ren aus Politik, Medien oder Wis­sen­schaft, die in anderen Medien kaum zu Wort kommen – und das nicht, weil sie beson­ders scharf­sin­nige Kritik vor­tra­gen würden, sondern ganz im Gegen­teil: Weil sie mit oft gro­tes­ken Behaup­tun­gen um sich werfen.

Doch vorerst ist der Vorhang der großen Bühne im rus­si­schen Staats­sen­der gefal­len: Nach dem tem­po­rä­ren Verbot von RT-Inhal­ten macht der Sender zwar weiter, muss aber neue Ver­brei­tungs­wege finden. Neben den Auf­ru­fen, die Inhalte zu teilen, setzt der Sender auf neue Inter­net-Adres­sen, die der bis­he­ri­gen ähneln. Bemer­kens­wert aktive Profile ver­brei­ten Links zu den Bei­trä­gen unter anderem auf Face­book, in Gruppen wie „Deutsch-Rus­si­sche Freund­schaft“ oder „Auf­ste­hen für den Frieden“. Die Kreml-treuen Netz­werke sind min­des­tens seit den „Mahn­wa­chen“ im Jahr 2014 auf­ge­baut worden und wei­ter­hin intakt. Dennoch bedeu­ten die Sper­run­gen einen Verlust an Reich­weite und Ein­fluss für RT.

Neue Rolle der diplo­ma­ti­schen Vertretungen

Dafür haben die diplo­ma­ti­schen Ver­tre­tun­gen Russ­lands an Bedeu­tung gewon­nen, um die Nar­ra­tive des Kremls in die Welt zu tragen. Die rus­si­sche Bot­schaft in London tut sich ohnehin seit Jahren mit pro­vo­kan­ten Social-Media-Posts hervor; seit dem Verbot von RT schei­nen die Profile von rus­si­schen Bot­schaf­ten und Minis­te­rien noch koor­di­nier­ter vor­zu­ge­hen und sich durch Ret­weets gegen­sei­tig Reich­weite zu ver­schaf­fen. Nach den Berich­ten über die Gräu­el­ta­ten in Butscha twit­ter­ten ver­schie­dene Konten rus­si­scher Bot­schaf­ten, so auch die Ver­tre­tung in Deutsch­land, unter anderem von „einer Fäl­schung im Fall ‚Butscha‘ “.

Auf­fäl­lig dabei: Die Aus­las­sun­gen des Kreml zu Butscha und anderen mut­maß­lich von der rus­si­schen Armee ver­üb­ten Kriegs­ver­bre­chen wie in Mariu­pol stimmen oft nicht mit­ein­an­der überein, sind alles andere als strin­gent, im Gegen­teil: Es werden wider­sprüch­li­che Erzäh­lun­gen ver­brei­tet. So ist mal davon die Rede, bei den Leichen handele es sich um Schau­spie­ler, dann heißt es, die Men­schen seien von ukrai­ni­schen „Nazis“ ermor­det worden. Ähnlich war es nach dem Angriff auf eine Klinik in Mariu­pol: Opfer wurden als angeb­li­che Schau­spie­ler ver­höhnt, gleich­zei­tig demen­tierte Moskau die Angriffe, aber es kur­sierte auch die Behaup­tung, in der Klinik hätten sich ukrai­ni­sche Batail­lone ver­schanzt. Für alle Fälle war die pas­sende Legende parat.

So hebelt die rus­si­sche Pro­pa­gan­da­ma­schine auch die Wirkung von Fak­ten­checks aus, da eine wider­legte Lüge umge­hend durch eine neue ersetzt werden kann. 

Mit dieser Stra­te­gie können gleich­zei­tig mehrere Effekte erreicht werden: Die öffent­li­che Debatte durch mög­lichst viele ver­wir­rende und unsin­nige Mel­dun­gen soweit zu stören, dass am Ende diverse Schil­de­run­gen neben­ein­an­der stehen – von denen man sich eine aus­su­chen kann. Sollte eine Legende gar nicht mehr haltbar sein, weil die Gegen­be­weise zu erdrü­ckend sind, bleiben immer noch alter­na­tive Ver­sio­nen, auf die der Kreml und seine Anhän­ger zurück­grei­fen können. So hebelt die rus­si­sche Pro­pa­gan­da­ma­schine auch die Wirkung von Fak­ten­checks aus, da eine wider­legte Lüge umge­hend durch eine neue ersetzt werden kann. Die rus­si­schen Falsch­be­haup­tun­gen bauen oft auf­ein­an­der auf, ein ganzes Refe­renz­sys­tem wurde erschaf­fen. So tauch­ten im Kontext von Butscha erneut Legen­den auf, wonach Gift­gas­an­griffe in Syrien eben­falls insze­niert gewesen seien.

Wie gehen frei­heit­li­che Gesell­schaf­ten mit Pro­pa­ganda um?

Doch wie gehen frei­heit­li­che Gesell­schaf­ten mit solch sys­te­ma­tisch auf­ge­bau­ter Pro­pa­ganda um? Ist das tem­po­räre Verbot von RT DE ange­mes­sen – oder tappt man damit in eine auto­ri­täre Falle? Die Chefin des rus­si­schen Exil-Maga­zins Meduza, Galina Timt­schenko, sagte der Zeitung Stan­dard: „Wenn du für Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit ein­trittst, darfst du keine Medien sperren, auch wenn sie falsch sind und nur Pro­pa­ganda ver­brei­ten.“ Mit ihrer Ver­bots­ent­schei­dung spiegle die EU das Ver­hal­ten von Auto­kra­ten wie Putin wider. Juris­ten warnen zudem, das Verbot könnte mög­li­cher­weise recht­lich nicht haltbar sein; es drohe eine Nie­der­lage vor Gericht, weil die EU gar nicht zustän­dig sei.

Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Claudia Roth (Grüne) ver­tei­digte das Vor­ge­hen hin­ge­gen: „Bei Russia Today und Sputnik handelt es sich aus Sicht des Putin-Regimes um zen­trale Instru­mente in einem ver­meint­li­chen Infor­ma­ti­ons­krieg. Auch in Bezug auf den blu­ti­gen Angriffs­krieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine“, sagte Roth der Welt. Auch CDU-Poli­ti­ker spra­chen sich für das Verbot aus. Der SPD-Medi­en­po­li­ti­ker Helge Lindh betonte, Putins Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gne nehme es sich bereits seit Jahren zum Ziel, Demo­kra­tien zu spalten und zu desta­bi­li­sie­ren. „Das Gift der Pro­pa­ganda, Des­in­for­ma­tion und Lüge ist gerade in Kriegs­zei­ten tödlich“, sagte Lindh. „Eine freie Gesell­schaft muss das nicht aus­hal­ten. Sie darf das nicht aus­hal­ten, muss wehr­haft sein, wenn sie frei bleiben will.“

Der rus­si­sche Angriffs­krieg und die Gräuel in der Ukraine, die von Russ­lands Pro­pa­ganda als Lügen abgetan werden, liefern den Befür­wor­tern des tem­po­rä­ren Verbots von RT ein­drück­li­che Argu­mente – doch wie es lang­fris­tig wei­ter­ge­hen soll, dafür scheint es noch keine Stra­te­gie zu geben. Erst langsam setzt sich die Erkennt­nis durch, dass die rus­si­sche Pro­pa­gan­da­ma­schine gar kein eigenes Nar­ra­tiv ver­brei­ten will, sondern darauf ange­legt ist, pau­schal unbe­legte Zweifel zu säen, sodass als Kon­se­quenz auch gesi­cherte Infor­ma­tio­nen nicht mehr als glaub­wür­dig gelten und ein sach­lich-fun­dier­ter Diskurs zer­stört wird.

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