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Fin de Siècle und Moderne (1890–1914)

Fin de Siècle und Moderne (1890–1914)

Um die Jahrhundertwende (1890–1914) entstanden unterschiedliche Strömungen der Literatur, die den Naturalismus ablehnten: Impressionismus, Symbolismus, Neuromantik, Jugendstil, Décadence und die Wiener Moderne. Das Ende des ausgehenden 19. Jahrhunderts nennt man auch Fin de Siècle.

Epochenbegriff

Zwei unterschiedliche Sichtweisen prägten das Lebensgefühl der Menschen um die Jahrhundertwende: man war hin- und hergerissen zwischen von einer Stimmung des Niedergangs (Fin de Siècle) sowie einem Gefühl des Aufbruchs (Moderne):

  • Mit dem Begriff Fin de Siècle verband man eine allgemeine Endzeitstimmung innerhalb der Gesellschaft zum Ende des Jahrhunderts; viele Künstler beklagten einen Verfall der Kultur. Das Neue und Unbekannte erzeugte ein Gefühl der Unsicherheit.
  • Eine positivere Sichtweise schwang im Epochenbegriff Moderne mit: die Jahrhundertwende stand für einen Neuanfang, für Fortschritt und Aufschwung.

Fin de Siècle

Der französische Begriff Fin de Siècle bezeichnet die Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die wörtliche Übersetzung lautet Ende des Jahrhunderts (fin = Ende, siècle = Jahrhundert). Geprägt wurde der Begriff durch eine Komödie von Francis de Jouvenot und Henry Micard aus dem Jahr 1888.

Gesellschaft der Jahrhundertwende

Die Jahrhundertwende auf einen Blick

  • Gefühl des Aufbruchs (neues Jahrhundert) sowie des Niedergangs (Ende des vorherigen Jahrhunderts)
  • Technischer Fortschritt erzeugte Zuversicht, aber auch Ungewissheit
  • Ohnmachtsgefühle durch Hektik der Großstädte  
  • Naturwissenschaften stellten Notwendigkeit von Religion infrage 
  • Neues Menschenbild durch Freuds Psychoanalyse

Das Leben der Menschen um die Jahrhundertwende stand unter dem Einfluss wachsender Städte und der zunehmenden Industrialisierung in Deutschland. Der Fortschritt führte zu einer zuversichtlichen Sicht der Menschen in die Zukunft (Zukunftseuphorie). Gleichzeitig machte der Verlust altbekannter Werte vielen Menschen Angst (Untergangsstimmung).

Technische Erfindungen wie das Telefon (1861), die Glühbirne (1879) oder die Straßenbahn (1881) veränderten den Alltag. Die Menschen erlebten eine nie dagewesene Beschleunigung in allen Lebensbereichen.

Der technische Fortschritt (Industrialisierung) führte zu einem Glauben an die Allmacht der Naturwissenschaften. Religiöse Weltbilder galten nicht mehr als zeitgemäß und verloren an Bedeutung.

»Gott ist tot«

Mit seinem Satz »Gott ist tot« stand Friedrich Nietzsche stellvertretend für eine Gesellschaft, in welcher die bisherigen Auffassungen zum Christentum in Frage gestellt wurden.

Durch das rasante Wachstum der Städte vermischten sich unterschiedliche soziale Milieus. Prachtvolle Herrschaftshäuser, private Wohnhäuser und auch Elendsviertel lagen manchmal nah beieinander. Gesellschaftliche Unterschiede und Missstände wurden sichtbarer. Die Kriminalität in den Städten nahm zu.

Der österreichische Psychiater Sigmund Freud (1856–1939) entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts die Psychoanalyse, eine moderne Methode der Psychotherapie. Die neuen Einblicke in die menschliche Psyche ermöglichten vielen Menschen eine erfolgreiche Therapie. Zugleich beeinflusste Freud durch seine Arbeit viele Künstler der Zeit. Das Wissen um den Einfluss des Unterbewusstseins auf das menschliche Handeln erzeugte ein neues Bild vom Menschen.

Menschenbild um die Jahrhundertwende

  • Menschen entfremden sich mit fortschreitender Technisierung von sich und der Natur.
  • Der Mensch ist in seinen Handlungen nicht frei, sondern wird beinflusst durch sein Unterbewusstsein.
  • Menschen sind verunsichert und psychisch überfordert.
  • Die komplexe Welt kann der Mensch nur noch in Fragmenten (Teilen) wahrnehmen.

Merkmale des Fin de Siècle und der Moderne

Die literarischen Strömungen der Moderne unterschieden sich in ihren Merkmalen. Viele Werke und Autoren dieser Literaturepoche lassen sich nicht klar einer einzelnen Strömung zuordnen.

Allgemeine Merkmale

Eine Gemeinsamkeit der neuen literarischen Tendenzen war die Abwendung vom Naturalismus (1880–1900). Die Künstler und Autoren wollten die Wirklichkeit nicht mehr möglichst genau und sachlich wiedergeben. Stattdessen rückte die Sicht des Einzelnen in den Vordergrund.

Die Kunst der Jahrhundertwende war überwiegend unpolitisch. Die Aufgabe von Kunst bestand vielmehr in der Besinnung auf das Schöne (Ästhetizismus). In allen Lebensbereichen versuchte man, eine gewisse Ästhetik herauszuarbeiten. Man suchte Schönheit selbst in einfachen, alltäglichen, aber auch grauenhaften Dingen.

Textsorten

Werke der Epoche entstanden in allen drei literarischen Gattungen (Epik, Lyrik, Dramatik).

Die bevorzugten epischen Textsorten waren die Novelle und der Roman. Bekannte Beispiele sind Thomas Manns Roman »Buddenbrooks« (1901) und seine Novellen »Tonio Kröger« (1903) und »Der Tod in Venedig« (1911).

Die erzählenden Texte wandten sich den inneren (psychischen) Vorgängen im Menschen zu – auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse aus der Psychoanalyse. Vor diesem Hintergrund entwickelte Arthur Schnitzler die Erzähltechnik des inneren Monologs. Seine Novelle »Leutnant Gustl« (1900) setzt fast ausschließlich auf diese innovative Darstellungsform.

Wichtige Romane und Novellen

  • Thomas Mann: »Buddenbrooks« (1901), »Tonio Kröger« (1903), »Der Tod in Venedig« (1911)
  • Arthur Schnitzler: »Leutnant Gustl« (1900)
  • Heinrich Mann: »Professor Unrat« (1905)
  • Robert Musil: »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« (1906)
  • Rainer Maria Rilke: »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« (1910)
  • Hermann Hesse: »Peter Camenzind« (1904), »Unterm Rad« (1904)

Die Dramen der literarischen Moderne waren tendenziell kurz, bevorzugte Dramenformen waren der Einakter und Dramenzyklen. Um 1900 wurde die Bezeichnung Dramolett für das Kurzdrama geprägt. Berühmte Dramolette der Zeit waren Hugo von Hofmannsthals »Tod des Tizian« und »Der Tor und der Tod«, außerdem der »Anatol«-Zyklus von Arthur Schnitzler.

Bekannte Dramen des Fin de Siècle und der Moderne

  • Arthur Schnitzler: »Anatol« (1893), »Reigen« (1896/97)
  • Hugo von Hofmannsthal: »Tod des Tizian« (1892), »Der Tor und der Tod« (1893), »Jedermann« (1911)

Die Lyrik des Fin de Siècle wird mitunter auch als Dekadenzdichtung bezeichnet. Diese Gattung spielte vor allem im Symbolismus eine bedeutende Rolle. Die Lyriker der Zeit behandelten in ihren Gedichten das verborgene Spirituelle hinter der wahrnehmbaren Wirklichkeit. Stilprägend war die Verwendung literarischer Bilder, Symbole, Neologismen, Metaphern und lautmalerischer Elemente. 

Stil und Sprache

Stil und Sprache des Fin de Siècle und der Moderne waren geprägt von einer Hinwendung zur Subjektivität, was besonders im literarischen Impressionismus zutage trat. 

Es entstand eine allgemeine Sprachskepsis. Der Sprache wurde zunehmend die Fähigkeit abgesprochen, Gedanken und Wahrnehmungen in geeigneter Form darzustellen. Folge dieser skeptischen Haltung gegenüber der Sprache, war die Auflockerung bzw. komplette Auflösung der Syntax. 

Wichtige Merkmale im Überblick

  • Gegenströmungen zum Naturalismus 
  • Fokus auf subjektiver Sichtweise und individuellen Gefühle 
  • Hinwendung zum Ästhetizismus (Schönheit aller Dinge)
  • Literatur hatte keine politische Funktion
  • Epik: Novelle und Roman als beliebteste Textsorten
  • Lyrik: Verwendung von literarischen Bildern, Symbolen, Neologismen, Metaphern und Lautmalerei
  • Dramatik: kurze Dramen, häufig nur aus einem Akt bestehend
  • Sprachskepsis mündete in Veränderung bzw. Auflösung der gängigen Syntax

Literarische Strömungen der Jahrhundertwende

Um die Jahrhundertwende herrschte ein ausgesprochener Stilpluralismus in der Literatur, wobei diese literarischen Strömungen nicht klar voneinander abzugrenzen waren. Teilweise weisen einzelne Werke dieser Zeit sogar verschiedene Stilrichtungen auf.

Literarische Strömungen der Jahrhundertwende

  • Impressionismus
  • Symbolismus
  • Neuromantik
  • Jugendstil
  • Décadence
  • Wiener Moderne

Impressionismus

Wie die Maler des Impressionismus, die flüchtige Sinneseindrücke und Stimmungen in ihren Gemälden einfingen, wurden auch in der impressionistischen Literatur unmittelbare Empfindungen und Eindrücke hervorgehoben. Die Autoren stellten die Wahrnehmung der Wirklichkeit in ihren Werken als fragil und vergänglich dar.

Im Fokus stand die innere Welt (Gefühle, Sinneseindrücke, Stimmungen) der Figuren, die sich mit jedem Moment veränderte. Mit seiner starken Betonung der Subjektivität richtete sich der Impressionismus gegen den Naturalismus, der um eine objektive, naturgetreue Darstellung der Wirklichkeit bemüht war.

Wichtige Autoren und Werke des Impressionismus

  • Detlev von Liliencron (1844–1909): 
    • »Nebel und Sonne«
  • Richard Dehmel (1863–1920):
    • »Lebensblätter« (Gedichtsammlung)
  • Max Dauthendey (1867–1918):
    • »Josa Gerth«

Symbolismus

Die Ursprünge des Symbolismus liegen in der französischen Literatur des späten 19. Jahrhunderts. Symbolisten waren häufig Lyriker, die mit ihrer Dichtung einen Kontrast zum Naturalismus schufen. Sie lehnten die detaillierte Beschreibung der Wirklichkeit ab, wie sie typisch für den Naturalismus war. Stattdessen suchten sie in der von Technik bestimmten Gesellschaft nach der verborgenen und unsichtbaren Spiritualität. Bilder und Symbole sollten sichtbar machen, was mit dem bloßen Auge nicht erfasst werden konnte. Aus diesem Grund ist die symbolistische Sprache reich an Metaphern, Andeutungen sowie klangvollen und musikalischen Ausdrücken.

Wichtige Autoren und Werke des Symbolismus

  • Stefan George (1868–1933):
    • »Das Jahr der Seele«
  • Hugo von Hofmannsthal (1874–1929):
    • »Der Tod des Tizian«
  • Rainer Maria Rilke (1875–1926):
    • »Blaue Hortensie«

Neuromantik

Die Neuromantik oder auch Neoromantik weist viele Gemeinsamkeiten mit der Literatur des Jugendstils auf. Beide Literaturströmungen lassen sich kaum voneinander abgrenzen. Deswegen wird die Neoromantik teilweise auch als literarischer Jugendstil bezeichnet.

Die neuromantischen Autoren lehnten den Naturalismus ab und stellten die typischen Motiven der Romantik wieder in den Vordergrund.

Ein Merkmal der neuromantischen Literatur zeigt sich in der starken Rückbesinnung auf vergangene Zeitalter (Epochen). Häufig spielten die Erzählungen im Mittelalter oder in der Renaissance. In dieser Idealisierung der Vergangenheit zeigt sich die Sehnsucht der Neoromantiker nach Orientierung und Sicherheit. Die Gesellschaft am Fin de Siècle war für viele Menschen unübersichtlich gewordenen. Man suchte deshalb auch in der Literatur Zuflucht im Altbekannten.

Das Leben in den Großstädten war geprägt von Hektik, Schmutz und Lärm. Dieser scheinbar lebensfeindlichen Umwelt wollten die Neuromantiker entfliehen. Für sie bildete daher die Natur eine friedliche und heile Gegenwelt zu den Städten.

In den Werken der Neuromantik wurden zahlreiche Märchen, Mythen und Sagen aufgegriffen. Daneben übte das Wundersame, Geheimnisvolle und Magische eine Faszination auf die Neuromantiker aus. Die Autoren flohen mit ihrer Literatur aus der Wirklichkeit in eine Welt der Träume und Fantasie.

Wichtige Autoren und Werke der Neuromantik

Jugendstil

Wie die bildende Kunst des Jugendstils stellt auch der literarische Jugendstil das Ästhetische in den Vordergrund. Der Jugendstil sah die einzige Aufgabe von Kunst und Literatur in der Darstellung von Schönheit. Beliebte Themen in den vorwiegend lyrischen Werken des Jugendstils waren: Mythologie, Natur, Traum, Tanz, Märchen und Sagen, rauschende Feste und das Wunder des Lebens.

Wichtige Autoren und Werke des Jugendstils

Wiener Moderne

In der Moderne bildete sich auch in Wien eine von kultureller Vielfalt geprägte Kunst- und Literaturszene. Vor allem die Autorengruppe »Junges Wien« prägte das literarische Leben zwischen den Jahren 1890 und 1910. Gründungsmitglieder waren die Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Peter Altenberg und Hermann Bahr, die sich im Café Griensteidl trafen. Deswegen spricht man bei der Wiener Moderne auch von Kaffeehausliteratur. Prägendes Merkmal war eine Ablehnung der konservativen Kunst und Kultur des Kaiserreichs. Bevorzugte literarische Themen waren: Unsicherheit der Menschen, Identitätskrisen, Hilflosigkeit und Verzweiflung. 

Wichtige Autoren und Werke der Wiener Moderne

Décadence

Der kulturelle Verfall der Gesellschaft war zentrales Motiv der Décadence. Man beklagte eine Überfeinerung der Kultur. Diese sah man u. a. in den übertriebenen Umgangsformen und Gewohnheiten des Bürgertums.

Décadence

Der französische Epochenbegriff Décadence bedeutet Verfall. Ursprung ist das lateinische Wort decadentia. Die deutsche Entsprechung ist Dekadenz bzw. Dekadentismus. Man spricht von Dekadenz, wenn Lebensgewohnheiten und Ansprüche in einem ungesunden Maße gestiegen sind.

Die Autoren der Décadence beschrieben in ihren Werken Empfindungen, Stimmungen, Visionen und Träume. Wiederkehrendes Thema waren psychische Zustände einer erhöhten Sensibilität und Nervenüberreizung. Die Figuren waren gekennzeichnet durch Feinfühligkeit, Kränklichkeit, Nervenschwäche, Lebensüberdruss und (Lebens-)Müdigkeit, Melancholie und Skepsis gegenüber dem Leben.

Wichtige Autoren und Werke der Décadence

Quellen und weiterführende Literatur:
Sabine Haupt und Bodo Würffel (Herausgeber), Handbuch Fin de Siècle, Alfred Kröner Verlag, 2008.
Dieter Lorenz (Herausgeber), bsv Grundwissen Deutsch: Nachschlagewerk für den Sekundarbereich I, Bayerischer Schulbuch Verlag, 1999.
Yomb May, Epochen der deutschen Literatur, C. Bange Verlag, 2018.
Johannes Pankau, Fin de Siècle: Epoche, Autoren, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2013.
Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Alfred Kröner Verlag, 2013.


Wichtige Werke der Epoche
Seite veröffentlicht am 11.03.2020. Letzte Aktualisierung am 23.04.2021.