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Schwarz-Grün-Rot

Koalitionskrach im Bundesrat: Was der Cannabis-Streit für Sachsen bedeutet

Streit auf offener Bühne: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und sein Vize, Umweltminister Wolfram Günther (Grüne/r.), geben am Freitag im Berliner Bundesrat in der ersten Reihe unterschiedliche Voten ab.

Streit auf offener Bühne: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und sein Vize, Umweltminister Wolfram Günther (Grüne/r.), geben am Freitag im Berliner Bundesrat in der ersten Reihe unterschiedliche Voten ab.

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Dresden. Gerade hatten die Spitzen der sächsischen Landesregierung mit Verve ihren Streit zelebriert, da wurden bereits die ersten Friedensbotschaften verschickt: Das schwarz-grün-rote Bündnis habe diese Situation kommen sehen, sei darauf vorbereitet gewesen, hieß es. Am Dienstag werde das Verhalten des Ministerpräsidenten im Koalitionsausschuss ausgewertet, sagte etwa Umweltminister Wolfram Günther (Grüne). Fast klang es normal, dass alle Beteiligten kaum mehr einen Rest von Gemeinsinn aufbringen können.

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Es kommt nicht oft vor, dass ein Bundesland bei einer Abstimmung im Bundesrat ein uneinheitliches Bild abgibt. Es ist die absolute Ausnahme. In den vergangenen Tagen hatte sich jedoch angedeutet, dass Sachsen genau diesen Weg bestreiten würde, um den Streit über das Cannabis-Gesetz maximal ausleben zu können.

Dulig ruft aus der zweiten Reihe: „Widerspruch!“

Im Bundesrat machte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zunächst in einer Rede deutlich, wie wenig er von der geplanten Cannabis-Legalisierung hält. „Ich werde einer Legalisierung von Drogen unter keinen Umständen zustimmen. Auch wenn das Ärger in meiner sächsischen Koalition gibt.“

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Bei der Stimmabgabe votierte Kretschmer dann für den Vermittlungsausschuss, um das Gesetz an entscheidenden Stellen nachzubessern. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) rief aus der zweiten Reihe: „Widerspruch!“. Schließlich votierte Günther als stellvertretender Ministerpräsident mit Enthaltung. Der Bundesratspräsidentin blieb laut Rechtslage nichts anderes übrig, als eine ungültige Stimmabgabe Sachsens festzustellen.

Die CDU macht mit dem Thema Cannabis Wahlkampf

Dazu hätte es formal gar nicht kommen dürfen. Dem Koalitionsvertrag zufolge, den Kretschmer Ende 2019 mit unterzeichnete, hätte Sachsen sich von vornherein im Bundesrat enthalten müssen. Dieses Verfahren haben CDU, Grüne und SPD vereinbart, falls das Kabinett sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen kann. Doch beim Thema Cannabis ließ das Bündnis alle Hemmungen fallen. Selten gifteten sich die drei Partner öffentlich derart an.

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Die CDU und Kretschmer meinen erkannt zu haben, dass die Sächsinnen und Sachsen der Freigabe von Cannabis skeptisch gegenüber stehen. Der Regierungschef teilte deswegen am Wochenende mit, dass er das Vorhaben mithilfe des Vermittlungsausschuss zunichte machen wolle. Dort sollte das geplante Gesetz totdiskutiert werden.

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Zunächst hatten auch SPD und Grüne Zweifel

Der Ministerpräsident konnte auf Bedenken ganz unterschiedlicher Akteure verweisen. Beispielsweise warnte der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, vor den Folgen des Cannabis-Gesetzes: „Alle medizinischen Einwände wurden und werden durch die Befürworter im Gesundheitsausschuss und im Bundesgesundheitsministerium wider besseren Wissens ignoriert.“

Selbst die Koalitionspartner sahen Nachbesserungsbedarf. Der rückwirkende Straferlass, den das Gesetz vorsieht, stieß auf Widerstand bei Justizministerin Katja Meier (Grüne). Sozialministerin Petra Köpping (SPD) fremdelte mit Mengenbegrenzungen: Ab April sollen Erwachsene bis zu 25 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf besitzen dürfen.

Hat die Koalition noch eine Arbeitsgrundlage?

Doch Kretschmers Maximalblockade wollten SPD und Grüne nicht mitmachen. Köpping erklärte am Dienstag, sie sei gegen den Vermittlungsausschuss. Damit war klar, dass Sachsen sich enthalten müsste. Kretschmer war dies augenscheinlich egal.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (2. v. l., SPD) verfolgt die Rede von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Bundesrat. Kretschmer spricht sich vehement gegen die Cannabis-Legalisierung aus.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (2. v. l., SPD) verfolgt die Rede von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Bundesrat. Kretschmer spricht sich vehement gegen die Cannabis-Legalisierung aus.

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Die sächsische Koalition wird an dem Politcrash im Bundesrat nicht zerbrechen. Mit zu viel Leidenschaft haben alle drei Partner den Streit um die Drogenpolitik für vorzeitige Wahlkampfmanöver genutzt, alle können die Vorstellung im Bundesrat für sich ausschlachten. Die gemeinsame Arbeitsgrundlage dürfte in den nächsten Wochen allerdings eher situationsbedingt ausgehandelt werden.

Die CDU will keine Zugeständnisse mehr machen

Regierungssprecher Ralph Schreiber beteuert zwar: „Der Koalitionsvertrag gilt bis zum Ende der Koalition.“ Die CDU lässt aber wenig Lust erkennen, den kleineren Partner noch irgendwelche Zugeständnisse zu machen.

Die SPD musste sich vom Gedanken verabschieden, vor der Wahl neue Rahmenbedingungen für öffentliche Ausschreibungen festzurren zu können. Die Grünen erleben ähnliches bei ihrem Plan, Spekulationen mit Agrarland einzudämmen. Beide Maßnahmen sind im Koalitionsvertrag vereinbart – die CDU macht trotzdem nicht mit.

SPD und Grüne bemängeln Umgang mit dem Koalitionsvertrag

Was folgt daraus? Erst einmal nichts. „Ständig werden einseitig von der CDU fest vereinbarte Projekte aufgekündigt, torpediert oder verzögert“, konstatiert SPD-Chef Henning Homann. „So geht man nicht miteinander um.” Die Grünen stellen verschnupft fest, dass die Union nicht vertragstreu ist.

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Die Koalition besteht dennoch fort.

LVZ

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