Selenskyjs Parteifreund im Interview: Boris Johnson sagte Ukrainern, sie sollten weiterkämpfen

Der Ukraine-Krieg hätte schon wenige Wochen nach dem russischen Einmarsch beendet sein können, sagt Selenskyjs Parteikollege Dawyd Arachamija.

Dawyd Arachamija spielte eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen mit Russland, die Ende März 2022 in der Türkei stattfanden. Hier ist er mit dem damaligen türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu (l.) und Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak zu sehen.
Dawyd Arachamija spielte eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen mit Russland, die Ende März 2022 in der Türkei stattfanden. Hier ist er mit dem damaligen türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu (l.) und Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak zu sehen.Sergei Karpukhi/Imago

In einem TV-Interview, das in der Ukraine ausgestrahlt wurde, beleuchtet der Politiker Dawyd Arachamija, Fraktionsvorsitzender von Wolodymyr Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“, die Rolle des britischen Ex-Premiers Boris Johnson beim Scheitern eines Friedensabkommens zwischen Moskau und Kiew im Frühling 2022. Arachamija war der Chefunterhändler bei den Friedensgesprächen in Istanbul, die wenige Wochen nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine im März 2022 stattfanden.

In dem Interview sagt er, dass die Russen „wirklich fast bis zum letzten Moment gehofft hätten, dass sie uns zwingen könnten, ein solches Abkommen zu unterzeichnen, damit die Ukraine die Neutralität annimmt. Das war das Wichtigste für sie“, sagte Arachamija dem ukrainischen Sender 1+1 in dem am Freitag ausgestrahlten Interview. „Die Russen waren bereit, den Krieg zu beenden, wenn wir – wie einst Finnland – der Neutralität zugestimmt und uns verpflichtet hätten, der Nato nicht beizutreten.“

Die Ukrainska Pravda berichtet, dass laut Arachamija die Ukraine dem Friedensvorschlag nicht zugestimmt hätte, weil die ukrainische Seite kein Vertrauen in die Russen gehabt hätte. „Um diesem Punkt (der Neutralität und dem Verzicht auf einen Nato-Beitritt, Anm. d. Red.) zuzustimmen, muss zunächst die Verfassung geändert werden. Unser Weg in die Nato ist in der Verfassung festgeschrieben. Zweitens hatte man kein Vertrauen in die Russen (…). Dies könnte nur geschehen (Einwilligung zur Neutralität, Anm. d. Red.), wenn es andere Sicherheitsgarantien geben würde“, so der Abgeordnete.

Und weiter: „Als wir aus Istanbul zurückkamen, kam Boris Johnson nach Kiew und sagte, dass wir überhaupt nichts unterschreiben und einfach kämpfen sollten“. Arachamija bestritt jedoch, dass die ukrainische Delegation zur Unterzeichnung des Dokuments bereit gewesen wäre oder dass Johnson Kiew zur Nichtunterzeichnung gedrängt hätte.

Über die Rolle Johnsons bei der Entscheidung der Ukraine, den Entwurf des Friedensabkommens zwischen Ukraine und Russland in Istanbul im Frühjahr 2022 zu verwerfen, gibt es schon seit langem Gerüchte. Erste Berichte darüber erschienen bereits im Mai 2022. Bis jetzt hat jedoch keine der beteiligten Parteien seitens der Ukraine oder Russlands die Gerüchte bestätigt oder dementiert.

In einem Interview mit der Berliner Zeitung im Oktober 2023 äußerte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die Vermutung, die amerikanische Seite hätte das Friedensabkommen zwischen Ukraine und Russland und eine Neutralität des Landes nicht gewollt.

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