Sasquatch Sunset – Kritik

Berlinale 2024 – Special: Sasquatch Sunset nutzt seine Yeti-artigen Fabelwesen erwartungsgemäß für Klamauk – bis der Film zur Parabel über die Evolutionsgeschichte des Menschen avanciert.

Dass der Sasquatch einen kräftigen Mittelstrahl hat, scheint keine Erfindung der Werbeindustrie zu sein. Auch in Sasquatch Sunset von David und Nathan Zellner pisst die nordamerikanische Variante des Yeti, was das Zeug hält. Generell lebt der erste Teil des Films, in dem wir eine vierköpfige Familie der haarigen Humanoiden durch eine zeitlose Wald- und Berglandschaft streifen sehen, von Szenen der eher infantilen Art. Hier wird nicht nur gepinkelt, sondern auch geschissen, gekotzt und gefickt. Eines der Geschöpfe, offensichtlich noch recht jung, probiert aus, ob Popel schmecken und wie die eigenen Finger riechen, wenn man sie über die Genitalien reibt.

Ähnlich wie im französischen Film Themroc (1973) sprechen die Protagonisten über die gesamte Spielzeit kein einziges echtes Wort. Stattdessen wird gegrunzt, gestöhnt und gequiekt. Das ist eine Weile ganz lustig mitanzusehen, doch nach 30 oder 40 Minuten scheint das Comedy-Potenzial des Sasquatch erschöpft, was sich auch daran zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt bei der besuchten Pressevorführung rund die Hälfte des anfänglichen Publikums den Saal bereits verlassen hat. Man fragt sich also irgendwann, was das Regie-Duo mit dem Rest der knapp 90-minütigen Laufzeit anfangen soll. Tatsächlich verstummt das Lachen im Saal immer mehr, was allerdings nicht an mangelnder Komik liegt, sondern daran, dass sich dieser zunächst herumalbernde Film nach und nach zu einer Parabel über die Evolutionsgeschichte der Menschheit wandelt.

Auf dem Weg zum Menschlichen

Wenn einer der Sasquatchs nach dem Konsum eines Fliegenpilzes stöhnt, kotzt und scheißt, geht es weniger um diese körperlichen Reaktionen als um frühmenschliche Versuche, die Welt zu erkunden, daraus zu lernen, was als Nahrung taugt und was nicht, und dieses unter Lebensgefahr erworbene Wissen weiterzugeben, auf dass es spätere Generationen leichter haben mögen. Das Gleiche gilt für Szenen, in denen die Fabelwesen einem Puma, einem Stinktier oder einer Schildkröte (mit sehr unterschiedlichen Resultaten) begegnen. Und wenn ein Mitglied der Familie erst bei einem Nest voller Vogeleier und später angesichts von Baumringen daran scheitert, weiter als bis vier zu zählen, dann ist das ein Versuch, Weltwissen zu ordnen und zu instrumentalisieren.

In verschiedenen Szenen entdecken die Sasquatchs, dass sie – trotz Konflikten in ihrer Gemeinschaft – durch Kooperation weiter kommen, als wenn jeder für sich kämpft. Nach und nach werden die vier unterscheidbar, zeigen eigene Wesenszüge und (spätestens, als ein Baby hinzukommt) ein ausgeprägtes Gefühlsleben. Und nicht zuletzt halten mit zunehmender Laufzeit immer mehr Rituale Einzug in den Alltag der Familie – Handlungen, die über das materiell Notwendige hinausgehen und ein Denken widerspiegeln, das sich vom Hier und Jetzt lösen kann. Im Grunde zeichnet der Film anhand des Sasquatch nach, wie aus Humanoiden Menschen wurden, indem sie begannen, sich von nicht-menschlichen Tieren zu unterscheiden. Dass diese Evolution ihren Preis hat, weil sie das ohnehin existierende Ungleichgewicht im survival of the fittest massiv zugunsten einer einzigen Spezies verschiebt, wird spätestens klar, wenn der Film nach knapp einer Stunde eine überraschende Wende nimmt, die seinen Titel plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Klamauk und Plädoyer zugleich

Sasquatch Sunset lässt sich wahlweise auch über die gesamte Laufzeit rein als Komödie betrachten – dafür sorgen immer wieder eingestreute Comedy-Momente, etwa eine Musikszene, ein niedliches Stachelschwein oder der erst im Abspann klar werdende Gag, dass mit Jesse Eisenberg und Riley Keough zwei recht bekannte SchaupielerInnen dabei sind, die unter den haarigen Kostümen jedoch kaum zur Geltung kommen. Die Größe des Films liegt aber in seiner Doppelbödigkeit, die Klamauk mit einem Plädoyer für Artenschutz und Empathie gegenüber nicht-menschlichen Lebewesen verbindet.

Trailer zu „Sasquatch Sunset“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Neue Kritiken

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.