Swissness
Jodeln am Steinentorberg: Hotel Regina definiert Tradition neu

Seit Jahren heizt Hotel Regina im Winter Basler Brunnen, jetzt stellt das Kollektiv erstmals in einem Kunstraum aus.

Hannes Nüsseler
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Das Kollektiv Hotel Regina im Bungalow: Quirin Streuli, Dominik Dober und Balz Scheidegger (v. l.).

Das Kollektiv Hotel Regina im Bungalow: Quirin Streuli, Dominik Dober und Balz Scheidegger (v. l.).

Bild: Nicole Nars-Zimmer

Das Häuschen stand in freier Wildbahn, als Bungalow auf dem Camping Sunny Side beim Theaterplatz: Dort konnten Zivilisationsflüchtige vergangenen Sommer unter dem Basler Sternenzelt nächtigen. «Es kamen Leute, die Camping spielten», erinnert sich Dominik Dober vom Kollektiv Hotel Regina. «Sie gaben sich neue Namen und sprachen zwei Tage lang nur Berndeutsch.»

Jetzt steht das transparente Kabäuschen am Steinentorberg im Kunstraum Artstübli. «Wir sind zum ersten Mal in einem Kunstraum», sagt Kollektivmitglied Balz Scheidegger, «unsere Arbeiten finden meistens im öffentlichen Raum statt». Das fünfköpfige Team von Hotel Regina hat schon in der Basler Innenstadt Holz gehackt oder den Wartenberg bei Muttenz besetzt und der Bevölkerung von den Burgzinnen herab ihre Leibeigenschaft in Erinnerung gerufen.

Und dann sind da die Brunnen, mit denen das Kollektiv der Bevölkerung seit 2017 in der kalten Jahreszeit einheizt und dafür eigens einen Verband gegründet hat. «Er ist mehr Name als tatsächlicher Verband», schmunzelt Kollektivmitglied Quirin Streuli. «Aber es gibt mittlerweile mehrere Gruppen in der Schweiz, die Brunnen heizen. Es ist schön, dass die anfängliche Fiktion gar keine mehr ist.» Das Projekt gab dem Kollektiv die nötige Konstanz und innere Struktur, die es seit der Gründung vor nunmehr acht Jahren stützt.

Bünzliger Beton als Totem

Kennen gelernt haben sich die ehemaligen Hyperwerk-Studenten an der FHNW. «Das Studium hat uns geprägt, wir gestalten gerne im digitalen Raum, aber auch handfeste Dinge», sagt Dober. «Wir haben kein Kunsthandwerk gelernt, sondern diese Prozessorientiertheit», ergänzt Streuli. «Es ist eine Arbeitsform, die zum Kollektiv passt: eine Art von Collagieren.» Und Scheidegger rundet die Dialog-Collage ab: «Beim Kunststudium werden Produkte hergestellt, die in eine Galerie gehören. Unsere Projekte haben bislang noch nie eine solche Präsentation erfahren, da mussten wir uns erst eindenken.»

Der Steg wird von den titelgebenden Mähkanten gestützt.

Der Steg wird von den titelgebenden Mähkanten gestützt.

Bild: Nicole Nars-Zimmer

«We accidentally made eye contact with a Mähkante in our basement», heisst die aktuelle Ausstellung mit dem ins Kraut schiessenden Titel. «Wir brauchten eine Unterlage zum Schweissen und fanden die Mähkante im Keller unseres gemeinsamen Ateliers», sagt Dober. Das Betonelement, das normalerweise Grünflächen einfasst, ist gestaltgewordene Bünzligkeit. «In senkrechter Position wird es aber zu einer Art Totem», so Dober. «Diese Verwandlung macht enorm Spass und ist sehr ermächtigend.»

«Wir verwenden sehr schweizerisch aufgeladene Materialien und akzeptieren sie als Teil unserer Identität», erklärt Streuli den Ansatz. «Wir versuchen aber auch, ihre Ästhetik neu anzuwenden.» Da ist zum Beispiel eine Jodelorgel mit den Stimmen des Kollektivs, die gespielt werden kann. «Der Klang ist nicht perfekt, manchmal hört man gegen Ende einen Erschöpfungsseufzer», lacht Streuli. Ein Tischschlagzeug auf Drechselfüssen gibt Drumsounds und helvetische Volksweisheiten von sich: «Clever vorsorgen, das Geld arbeiten lassen.»

Es geht um die Deutungshoheit

«Da wir als Kollektiv gestalten, denken wir oft eine Mitnutzung mit», so Dober. Auch die Frage nach der Authentizität reizt das Kollektiv. «Was wird als schön und echt definiert?», fragt Dober. Gängige Alphornlieder seien zum Beispiel oft nicht älter als fünfzig Jahre. «Es geht uns um die Deutungshoheit», führt Scheidegger weiter aus. «Tatsächlich gibt es ja viel mehr Traditionen, als die enge Definition des Begriffs berücksichtigt.»

Im Artstübli ist die währschafte Holzoptik also Camouflage, allzu trittsicher können sich Traditionalistinnen nicht sein. Zwischen dem Häuschen als «klarstem Beispiel von Mimikry von Schweizer Kultur» (Streuli) und einem aufgebockten Bassverstärker sind Holzplanken verlegt, über die das Publikum balanciert. «Der Steg ist in Anlehnung an den Naturschutzgedanken entstanden», erklärt Scheidegger: «Man ist abgehoben von der Umgebung, die Natur wird zum Bild, aus dem man sich selbst herausnimmt. Auch das ist sehr schweizerisch.»

Hotel Regina gibt es in fast jeder Stadt

Im Häuschen selbst nudelt Radio SRF (ab Band), Jasskarten, Melkschemel und Biberli schaffen Chalet-Ambiente. «Das Haus widerspiegelt auch unsere Lust, Welten zu kreieren», sagt Scheidegger. «Das spielt in vielen unserer Projekte eine Rolle. Die Mischung aus Zufälligkeit und bewusst gestalteter Form macht Hotel Regina aus.»

Der Zufall bestimmte auch die Namensgebung des Kollektivs. «Ein Hotel Regina gibt es in fast jeder Stadt», sagt Streuli. «In Zürich zum Beispiel im Rotlichtmilieu», ergänzt Dober. «Der Hotelname ist eine Marke und gleichzeitig auch nicht.» Trotz wackeligem Wiedererkennungswert kommt das Hotel Regina aber ganz schön herum: «Als Nächstes planen wir ein Vermittlungsprojekt im Kunstmuseum Basel», schliesst Scheidegger.

«We accidentally made eye contact with a Mähkante in our basement», Artstübli Basel, bis 10. Februar 2024. Ferien: 24. Dezember bis 11. Januar. www.artstuebli.ch