China drückt die Medikamentenpreise wie kein anderes Land – doch die Pharmafirmen machen das Spiel mit

Das Reich der Mitte rühmt sich damit, innovative Medikamente «zu den weltweit niedrigsten Preisen» zu importieren. Pharmakonzerne wie Roche oder Novartis lassen sich in der Hoffnung auf grosse Volumen zähneknirschend darauf ein.

Dominik Feldges
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China verkörpert inzwischen nicht nur einen bedeutenden Absatzmarkt, sondern auch einen zentralen Forschungsstandort für westliche Pharmakonzerne (im Bild Mitarbeiterinnen von Novartis in Schanghai).

China verkörpert inzwischen nicht nur einen bedeutenden Absatzmarkt, sondern auch einen zentralen Forschungsstandort für westliche Pharmakonzerne (im Bild Mitarbeiterinnen von Novartis in Schanghai).

Qilai Shen / Bloomberg

China ist für die Pharmabranche überraschend lange nicht im Vordergrund gestanden. Bedeutende Medikamentenhersteller wie Roche oder Novartis konzentrierten sich lieber auf ihre angestammten drei Hauptmärkte USA, Europa und Japan. Doch dank wachsendem Wohlstand sowie gestiegenen Ansprüchen an die medizinische Versorgung ist China für den Sektor in den letzten paar Jahren deutlich wichtiger geworden. Geschäfte mit dem Reich der Mitte sind inzwischen derart bedeutsam, dass Weisungen chinesischer Behörden bei der Erstattung von Medikamentenkosten selbst von den Spitzen der Pharmakonzerne verfolgt werden.

Ein hartes Feilschen

China gehört zu den Ländern, welche die Preise für Pharmaprodukte einer jährlichen Überprüfung unterziehen. Zudem wird bei dieser Gelegenheit jeweils bestimmt, welche Produkte es neu auf die Liste der Medikamente schaffen, deren Kosten von der staatlichen nationalen Krankenversicherung erstattet werden. Dieser Fonds deckt die Gesundheitsaufwendungen von über 95% der 1,4 Mrd. Einwohner Chinas ab.

Der Zusammenstellung der Liste geht jeweils ein hartes Feilschen zwischen den Pharmaunternehmen und der Regierung voran. Zum alljährlichen Ritual gehört, dass die Behörden nach dem Abschluss der Verhandlungen verkünden, welche grossartigen Rabatte sie bei der Aufnahme neuer Produkte gegenüber den Preisen in anderen Weltregionen herausholen konnten. Dieses Jahr waren es im Durchschnitt angeblich 50,6% – verteilt auf 119 Medikamente, die neu der Liste hinzugefügt werden. Damit würden diese importierten Produkte «zu den niedrigsten Preisen weltweit» verkauft, erklärte ein Beamter der nationalen chinesischen Gesundheitsbehörde gegenüber Medienvertretern.

Dass China im Powerplay mit der Pharmabranche derart seine Muskeln spielen lassen kann, sorgt auf der Gegenseite selbstredend nicht für Begeisterung. Auch Roche bekam dieses Mal die Verhandlungsmacht der Chinesen zu spüren und musste bei seinem – bereits auf der Liste stehenden – Krebsmedikament Zelboraf einen weiteren Preisabschlag hinnehmen. In der Basler Zentrale tröstet man sich damit, dass bedeutend umsatzstärkere Produkte der Firma für die Verwendung in der Onkologie wie Mabthera, Herceptin, Avastin oder Perjeta nicht dasselbe Schicksal traf.

Wer schafft es auf die Liste?

Insgesamt hat es das Unternehmen im Verlauf der vergangenen zwei Jahre geschafft, mit sieben bedeutenden Produkten auf der Liste der erstattungsfähigen Medikamente in China Eingang zu finden. In der jüngsten Runde stiess allerdings kein neues Produkt dazu. Novartis spricht im Gegensatz dazu von acht Neuzugängen, wozu auch das weltweit umsatzstärkste Präparat der Firma, der Entzündungshemmer Cosentyx, zählt.

Über die Höhe der vereinbarten Rabatte will der Konzern ähnlich wie Roche keine Auskunft geben, doch ist davon auszugehen, dass auch er deutlich niedrigere Preise als in den westlichen Absatzmärkten in Kauf nimmt. Die «Rabattschlacht» in China folgt dem Kalkül, dass das Land dank seiner riesigen Bevölkerung die Chance auf ungleich grössere Verkaufsvolumen als die USA oder Europa bietet. Dadurch sollten sich hohe Umsätze erwirtschaften lassen, auch wenn für das einzelne Medikament markant weniger als in anderen Märkten verlangt werden kann.

Bei der Pharmasparte von Roche betrugen die Einnahmen aus China 2019 bereits 3,1 Mrd. Fr. Sie lagen damit noch deutlich unter dem US-Umsatz von 26,7 Mrd. Fr., aber nicht mehr allzu weit entfernt von den Einkünften in Japan, dem zweitgrössten Markt (4,1 Mrd. Fr.).

Chinesische Anbieter holen auf

Novartis verfolgt das Ziel, schon in vier Jahren nur noch in Amerika mehr Umsatz zu erwirtschaften als in China. Die starke Hinwendung der Pharmaindustrie zur Volksrepublik ist allerdings nicht frei von Tücken. Je mehr sie sich chinesischen Forderungen nach Preisabschlägen beugt, desto stärker riskiert die Branche, entsprechende Begehrlichkeiten auch in anderen bedeutenden Absatzmärkten zu wecken.

Die chinesische Regierung mag sich zudem vor rund drei Jahren entschlossen haben, der Bevölkerung vermehrt Zugang zu innovativen Medikamenten westlicher Hersteller zu verschaffen. Dies hält sie aber nicht davon ab, parallel dazu den Aufbau einer modernen einheimischen Pharmaindustrie nach Kräften zu fördern. Diese Strategie trägt erste Früchte. Bei der jüngsten Zusammenstellung der erstattungsfähigen Medikamente wurden gleich drei chinesische Hersteller von Immuntherapien des Typs PD-1 für die massgeschneiderte Krebsbehandlung berücksichtigt. Multinationalen Firmen blieb ein solcher Erfolg in dieser begehrten Kategorie samt und sonders vergönnt.

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