16. NGO Sarajevo Halbmarathon – Where the East meets the West (21,1 km/HM)

Dass dieser Laufbericht ein wenig anders ausfällt, nämlich auch die Geschichte, zumindest in kleinen Anreißern, beschreibt, ist man dieser Stadt schlicht schuldig, wenn man sich aktiv mit ihr beschäftigt. Insofern gehe ich neben meinen Lauferfahrungen im Rahmen des Halbmarathons auch stellenweise auf die einzelnen geschichtlichen und historischen Ereignisse der jüngeren Geschichte ein.

Sarajevo hatte ich schon lange auf meiner Bucketlist und nun sollte es endlich soweit sein. Sarajevo besticht mit seiner ganz eigenen Historie und der Tatsache, dass hier Osmanisches Reich und das Kaiserreich Österreich-Ungarn an einer Stelle derart deutlich aufeinandertreffen, dass dieser Punkt „Meeting the cultures“ oder auch „Where the East meets the West“ genannt wird. Alles in allem war Sarajevo der wohl bedeutendste Sightseeing-Lauftripp, den ich in den letzten Jahren absolviert habe.

Freitagfrüh ging es um kurz nach 6 Uhr mit dem Direktflug von Stuttgart nach Sarajevo, wo ich um kurz vor 8 Uhr bereits ankam. Die Einreise funktionierte unkompliziert, der Transport in die Innenstadt erforderte allerdings ein wenig Planung. Es gibt zwar einen Flughafenshuttlebus, dieser fuhr allerdings derart unregelmäßig, dass ich beschloss, rund 2 Kilometer in den Vorort Dobrinja zu laufen. Dort konnte ich mit einem O-Bus für kleines Geld in die rund 10 Kilometer entfernte Innenstadt fahren.

Mein Hotel konnte ich erst gegen Mittag beziehen, also schaute ich mir bei bestem Wetter die osmanische Altstadt Baščaršija und die Gazi Husrev-Beg Moschee an. Da es noch früh am Morgen war, war ich gänzlich allein unterwegs. Erst später wurde es voller auf den Straßen.

Mittags checkte ich im Hotel Aziza ein, was ich nur wärmstens empfehlen kann, wenn man Sarajevo besucht. Das Wetter war top, also nutzte ich die Zeit und schaute mir Sarajevo an. Die Stadt ist bekannt für seine wechselhafte und dramatische Geschichte – man denke an das folgenschwere Attentat auf den österreichischen Thronfolger Friedrich Ferdinand von 1914, das den Ersten Weltkrieg auslöste. Oder an die mehrjährige Belagerung und Einkesselung der Stadt im Bosnienkrieg von 1992-1996, die der Stadt signifikante Schäden und bis heute sichtbare Spuren der Verwüstung zufügte. In den öffentlichen Fokus rückte das im Dinarischen Gebirge liegende Sarajevo noch vor den Kriegsjahren durch die Olympischen Winterspiele 1984. Schrieb Sarajevo einst Weltgeschichte, so rückt die südosteuropäische Metropole jetzt erst langsam wieder in den internationalen Fokus.

Samstagfrüh holte ich mir im Nationaltheater meine Startnummer und allerlei weitere Goodies ab, die Bestandteil des Race-Packs waren. Danach setzte ich meine Besichtigungstour fort. Am Abend fand zur Eröffnung des Sarajevo Lauf Festivals ein Konzert des Stadtorchesters vor dem Nationaltheater statt. Das war auch für mich eine Premiere.

Der Lauf an sich erfolgte Sonntagfrüh. Ich musste also meine ganzen Sachen mitnehmen und hoffte auf die angebotene Möglichkeit, meine Reisetasche irgendwo verstauen zu können. Am Startpunkt, wo die Aufbewahrung sein sollte, fand ich diese nicht. Nach ein wenig Rumfragen, durch Zuhilfenahme des Google Translators, fand ich heraus, dass erneut das Nationaltheater mein Anlaufpunkt sein sollte und als Garderobe fungierte. Ich hatte noch genug Zeit, also brachte ich alles dorthin.

Zurück am „Meeting the Cultures”-Zeichen, also an der Stelle, wo osmanisches Reich und das Kaiserreich Österreich- Ungarn, zumindest aus historischer Sicht zusammentrafen, hatten sich mittlerweile hunderte Läuferinnen und Läufer eingefunden. Die schmale Straße war gut gefüllt. Nun wartete ich auf den Start. Das ich mich in einem ehemaligen Kriegsgebiet befand, in dem auch heute noch nicht alles zu hundert Prozent stabil zu sein scheint, zeigte mir die Präsenz der EUFOR-Soldaten, die sich das Laufspektakel nicht entgehen ließen.

Dann, pünktlich um 9 Uhr, erfolgte der Startschuss und der Tross begab sich auf die 21,1 Kilometer lange Strecke, die in zwei Runden durch die Stadt verlief.

Geschichtsstunde für Läuferinnen und Läufer

Zunächst liefen wir über die Ferhadija Straße, die uns in den österreich-ungarischen Teil Sarajevos führte. Hier fanden wir die üblichen prächtigen Stadthäuser, unten mit Geschäftsfronten, wie in jeder westlichen Stadt, oben mit Wohnungen. Nach rund 500 Metern Wegstrecke erreichten wir die Marschall-Tito-Straße benannt nach dem ersten und einzigen Staatspräsidenten der Republik Jugoslawien. Hier an der ewigen Flamme, vereinigten sich die beiden Straßen und es wurde merklich breiter.

Entlang der Marschall-Tito-Straße ging es nun für rund eineinhalb Kilometer in den neueren Teil Sarajevos, entlang der Nationalbank, dem Oslobodenje-Haus, einer Zeitung, die als einzige von hier im Bosnienkrieg weiterberichtete und dem Präsidentenpalast. Am Platz Bosnien und Herzegovinas erreichten wir den Parlamentssitz und das neue Sarajevo mit riesigen Einkaufszentren. Im Hintergrund erhoben sich die beiden UNITIC-Hochhäuser, die im Bosnienkrieg komplett ausbrannten und heute wieder neu aufgebaut sind.

Von hier ging es für rund einen Kilometer weiter entlang der Zmaja od Bosne, im Bosnienkrieg auch eher bekannt als Sniper Alley. Serbische Scharfschützen hatten sich hier auf den Dächern der Häuser postiert und taten ihr grausames Werk. Auf der rechten Seite lag das Hotel Holiday, welches im Krieg Sammelpunkt der Journalisten war. Es lag für die Berichterstattung „strategisch“ gut, da in unmittelbarer Nähe die Frontlinie verlief. Hier drehten wir nun um und liefen auf der dreispurig ausgebauten Straße zurück Richtung Altstadt.

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Am Parlament hielten wir uns rechts und liefen nicht durch die Marschall-Tito-Straße zurück, sondern folgten der nach rechts abzweigenden Hiseta-Straße, die uns bis zum Fluß Miljacka führte. Die Miljacka fließt durch Sarajevo und wird durch zahlreiche Brücken in der Altstadt überspannt. Nach etwas mehr als drei Kilometern Wegstrecke erreichten wir die Miljacka und überquerten diese über die von Gustav Eiffel konstruierte Skenderija-Brücke.

Nun folgten wir der Terezija-Straße für rund einen Kilometer, überquerten wieder die Miljacka, diesmal über die Most Suada i Olga, zu Deutsch Brücke von Suada und Olga. Auch diese Brücke hat eine Bedeutung für Sarajevo. Am frühen Nachmittag des 5. April 1992 starben auf der Brücke die 23-jährige Suada Dilberović und die 34-jährige Olga Sučić durch den Beschuss von Heckenschützen, die im Kovačići-Distrikt lokalisiert wurden. Die beiden Frauen waren mit anderen Demonstranten zu einer Friedensdemonstration auf dem Vorplatz des Parlaments unterwegs.

An der anderen Flußseite liefen wir für rund 2 Kilometer unter der schönen baumgesäumten Allee Vilsonovo šetalište entlang des Flusses weiter bis zum Stadtteil Grabavica, einem Stadtteil, der durch seine in den 50er und 60er Jahren erbauten Wohnblöcke charakterisiert ist. Schön ist sicher anders, aber auch hier kommt man an der jüngeren Geschichte dieser Stadt nicht vorbei. Nicht ein Haus, das nicht durch Maschinengewehrfeuer durchsiebt wurde. Die Schäden im Putz der Häuser sieht man bis heute. Auch die Einschläge von Granaten kann man durch die notdürftigen Ausbesserungen deutlich erkennen. In Grabavica hatten sich die bosnischen Serben verschanzt und belagerten unter anderem von hier aus Sarajevo.

HöhenprofilAn der Hajji’s-Brücke bogen wir nun nach links in den Stadtteil ab und liefen für rund 500 Meter weiter über die Topal Osman-Paše Richtung Stadion von Grabavica. Einmal kurz rechts abgebogen und am Wendepunkt gedreht – die hier befindliche Verpflegungsstation nahm ich nach bis hier hin etwas mehr als sechs Kilometern Laufstrecke gerne an. Dann ging es weiter über die Zvornička-, die Grabaviča- und die Zagrebačka-Straße, die alle in einander übergingen. Für rund 2 Kilometer führte uns die Straße mit den drei Namen durch den Stadtteil Grabavica.

Dann erreichten wir wieder die Most Suada i Olga, die wir vorher zur Querung des Flusses genutzt hatten, liefen weiter über die Terezija-Straße bis zur Skenderija-Brücke. Diese querten wir und wir liefen auf der linken Seite der Miljacka, der Obala Kulina bana, weiter entlang des Flusses.

Wir passierten die Universität von Sarajevo, das Nationaltheater, die ehemals evangelische Kirche, heute die Akademie der Künste und die Lateinerbrücke, einem weiteren geschichtlichen Hotspot von Sarajevo. Hier wurde am 28. Juni 1914 Erzherzog Franz-Ferdinand und seine Frau durch Gavrilo Princip erschossen, was im Weiteren zum 1. Weltkrieg führen sollte. Ein bisschen weiter folgte dann die Kaisermoschee und die Vijećnica, das Rathaus von Sarajevo. Nach etwas mehr als 10 gelaufenen Kilometern bogen wir nun nach links ab.

Nach kurzer Wegstrecke erreichten wir die Baščaršija, die osmanische Altstadt von Sarajevo. Weiter ging es entlang der Straße Mula Mustafe Bašeskije, die den Lückenschluss vollzog und von der anderen Seite der Ferhadija-Straße, in der wir gestartet waren, in die Marschall-Tito-Straße führen sollte.

Die 2. Runde macht den Unterschied

Ab hier begann die zweite Runde durch Sarajevo. Die ersten 10 Kilometer hatte ich in einer Zeit von 53:45 Minuten geschafft. Eine recht ordentliche Zeit, die mir zeigte, dass eine sub 1:50 Stunden eventuell zu realisieren sein würde. Das Wetter war für mich ideal. Leicht bewölkt, viel Schatten, leichter kühler Wind. Besser konnte es nicht laufen. Rennen, bei denen zwei oder mehrmals die gleiche Runde gerannt wird, sind für mich eigentlich ein Grauen. Aber hier in Sarajevo wurde man permanent abgelenkt. Es gab so viel zu sehen, dass man die Anstrengungen des Laufes quasi ausblendete. Auch bei Kilometer 13 und 14, meinem obligatorischen Tiefpunkt, stellte sich dieser nicht ein. Es lief alles rund und ich war prima in der Zeit.

Es war jetzt 10:15 Uhr und die Sonne kam raus. Schlagartig wurde es schwül und der Wind verschwand. Als wenn jemand einen Schalter gedrückt hatte. Zum Glück liefen wir bald wieder unter der baumgesäumten Vilsonovo šetalište Richtung Grabavica. Hier waren wir zwar sonnengeschützt, aber die Schwüle kam auch hier durch. Ich nutzte ab jetzt jede Wasserstation. Ich hatte immer noch den Eindruck, gut im Rennen zu sein, da ich vermehrt gehende Läufer überholte. Aber der Schein trügte mich. Die Pace wurde deutlich langsamer, was auch kein Wunder war.

Ich nutzte jeglichen Schatten aus, was auch dazu führte, dass ich am Ende vielfach nicht die Ideallinie lief, sondern rund 600 Meter mehr an Metern auf der Uhr stehen hatte.

Dann kamen wir wieder an der Miljacka an, dem Fluß, der durch Sarajevo fließt. Von nun an war das Ziel nicht mehr allzu weit. Etwas mehr als 2 Kilometer waren noch zu laufen, die es aber in sich hatten. Kein Schatten und volle Sonne von der Seite. Wir liefen nun bis an die Ecke, an der das Attentat zum 1. Weltkrieg stattfand. Hier bogen wir nach links ab und liefen in einer Parallelstraße, der Zelenih beretki, bis zum Nationaltheater zurück. Hier befand sich das Ziel, welches ich nach 1:58:58 Stunden, laut meiner Uhr, durchlief.

Im Ziel holte ich mir zunächst ein paar Flaschen Wasser und suchte mir ein schattiges Plätzchen, was nicht so einfach war.

In der Ergebniswertung stellte ich dann jedoch fest, dass die mitgeteilte Zeit nicht stimmen konnte. Es wurde bei mir eine Nettozeit von 1:59:47 Stunden angegeben, was nun deutlich von der von mir gemessenen Zeit abwich. Abweichungen gibt es zwar immer, aber so gravierend? Ich hatte bei Überschreiten der Start- und Ziellinie gemessen. So begab ich mich auf Ursachensuche und stellte fest, dass bei allen Läufern eine Startzeit von 8:59 Uhr eingetragen war. Damit entsprach die gemeldete Nettozeit eher der Bruttozeit, also der Zeit, die ab Startschuss, unabhängig davon, wann man selbst die Startlinie überquert, gilt.

Dies habe ich später dann auch bemängelt und am Ende wurde die offizielle Zeit auf 1:59:19 korrigiert. 21 Sekunden Differenz sind zwar immer noch happig, aber vertretbar. Mit meiner nun offiziellen Zielzeit von 1:59:19 Stunden bin ich dann immer noch unter 2 Stunden geblieben, was meinem Minimalziel entsprach. In der Gesamtwertung erreichte ich damit Platz 375 von 875 Finishern, in der Altersklasse M40 reichte es für Platz 90 (194) und bei den Männern für Platz 324 (638). Die Zeit hat mich nun nicht vom Hocker gehauen, aber insgesamt lag ich damit im guten Mittelfeld. Offensichtlich setzte nicht nur mir die Schwüle zu.

Nach dem Lauf hieß es nun schnell sauber machen, erfrischen und für die Zivilisation herrichten. In den Katakomben des Nationaltheaters nutzte ich die weitläufige Toilettenanlage, in der es sogar Duschen gab, um mich trocken zu legen. Ich verstaute alles in meiner Tasche und begab mich Richtung Busparkplatz. Von hier wollte ich zum Flughafen fahren.

Dort musste ich jedoch feststellen, dass man an diesem Tag, wegen der gesperrten Straßen, den kompletten Bus- und Straßenbahnverkehr eingestellt hatte. Ich sah offensichtlich so ratlos aus, dass mich zwei Frauen ansprachen und mich fragten, ob sie mir eine Taxe bestellen sollten. Da Taxen in Sarajevo ebenfalls Mangelware sind, nutze ich das Angebot und keine zwei Minuten später kam auch schon die Droschke vorgefahren.

Durch die Berge und nicht über die breit ausgebaute Schnellstraße, die ja gesperrt war, ging es Richtung Flughafen. Hier durchfuhren wir Teile der Republik Srpska, auch ein Überbleibsel des Bosnienkrieges, bevor wir den Flughafen erreichten.

Mit Air Serbia sollte es über Belgrad zurück nach Frankfurt gehen – dem war dann aber nicht so. Mit Verspätung ging es in Sarajevo los, in Belgrad verpasste ich den Anschluss um 5 Minuten. Anstatt mich noch in die Gangway zu lassen, immerhin standen die Passagiere keine 3 Meter von mir entfernt und warteten, einsteigen zu können, buchte man mich und drei weitere Passagiere lieber auf einen Flug nach Istanbul um. Von dort ging es dann innerhalb von 20 Minuten weiter mit einem Flug nach Frankfurt. In Frankfurt hatten dann alle Züge, ich musste nach Stuttgart, mindestens mal 60 Minuten Verspätung – das kennt man ja und irgendwann in der Nacht, so gegen halb zwei, war ich dann doch wieder zu Hause.

Alles in allem ein tolles Laufevent in einer wirklich spannenden Stadt. Geistig muss man aber sehr flexibel und in der Lage sein, sich den Gegebenheiten anzupassen und über Alternativen das gleiche Ziel zu erreichen. Planung ist im Westen alles, aber eben nicht überall.

Wer sich über diesen Lauf informieren möchte, kann dies auf der Website des Sarajevo Halbmarathons machen oder auf der entsprechenden Facebook-Seite. Freitag bis Sonntag ist bei guten Flugverbindungen in Ordnung – gegebenenfalls sollte man aber lieber schon Donnerstag anreisen. Es gibt eine Menge zu sehen in Sarajevo, versprochen.

Allzeit gute Läufe!

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