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Urteil

Babymord: Mutter sah ihr Kind als Störfaktor

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Babymord: Mutter sah ihr Kind als Störfaktor
Veröffentlicht:08.01.2018, 20:52

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Weil sie ihr Baby direkt nach der Geburt getötet hat, ist eine 23-jährige Frau vom Landgericht Ravensburg zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden.

Lebenslänglich. Nach diesem Urteil ist es am Montagabend still im Sitzungssaal 1 des Ravensburger Landgerichts. Der Zuschauerraum ist voll, wie er es in den vergangenen Wochen meistens war, wenn es um den Fall der 23-jährigen Frau aus dem Kreis Konstanz ging. Weil sie ihr Baby direkt nach der Geburt unter freiem Himmel in Rulfingen getötet hat, ist sie nun mit der härtesten Strafe wegen Mord belegt worden. Einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Damit kam das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft nach. Die Verteidigung hatte sich für eine Haftstrafe wegen Totschlag von vier Jahren ausgesprochen.

Ein grausamer Tod

Die Mutter der Angeklagten sitzt im Publikum und wagt nicht zu atmen. Die Angeklagte sitzt wie versteinert, als Richter Stefan Maier in der Urteilsbegründung deutliche Worte findet. „Es war kurz vor Mitternacht am 24. Mai, als auf elende und grausame Weise ein Mensch ums Leben kam. Ein Erstickungstod nach mehrminütigem Überlebenskampf.“ Die Ursache sei ein acht Zentimeter langer Pfropfen, den die junge Frau ihrer neugeborenen Tochter in den Mund geschoben und bis in den Rachen hineingestopft hatte.

Nur selten komme den Gerichten Tötungsfälle auf den Tisch, bei denen über Monate hinweg so zielstrebig an einem Mord gearbeitet würde. Weil das Kind nicht in ihr Leben mit ihrem damaligen Freund und heutigen Verlobten passte und sie Angst hatte, diesen zu verlieren, hätte es beseitigt werden müssen wie ein Störfaktor. Sie habe ihre Partnerschaft genießen und sich nicht von einem Neugeborenen kaputt machen lassen wollen, hatte die 23-Jährige gegenüber dem Gynäkologen geäußert, in dessen Klinik sie sich nach der Tat selbst einwies. „Entsorgungsmentalität“ nennt es Staatsanwalt Matthias Inselsberger.

Keine Bewusstseinsstörung

Zuvor hatte der psychiatrische Gutachter Hermann Assfalg der Angeklagten eine volle Schuldfähigkeit bescheinigt. Er schließt traumatische Belastungs- und Persönlichkeitsstörungen, die von einer durch ihren damaligen Freund mit Tritten in den Bauch beendeten Schwangerschaft mit 17 Jahren herrühren könnten, aus. Stattdessen verdeutlicht er, wie klar strukturiert und mit welch planerischer Energie die 23-Jährige am Tattag ihr oberstes Ziel verfolgte: Sie wollte die Schwangerschaft, die sie bis dato stets abgestritten hatte, weiter geheim halten und somit auch um jeden Preis verhindern, dass ihre Begleiter etwas von der Geburt bei dem Hof in Rulfingen mitbekamen. „Sie war voll auf das Ziel der Geheimhaltung fokussiert“, sagt er. Dazu habe gehört, die Freunde auf Distanz zu halten, sich Wasser und Papiertücher bringen zu lassen, dem Säugling den Mund erst zuzuhalten und dann mit einem zu einem Pfropfen gedrehten Papiertuch ganz zu verschließen. „Sogar eine Erklärung für die blutigen Sachen hatte sie sich bereitgelegt, eine Zyste.“ Von einer Bewusstseinsstörung bei der Geburt, wie es die Verteidigung formulierte, könne keine Rede sein.

"Krasse Selbstsucht"

Die – wie sich während des Prozesses herausstellte, weitgehend unbegründete – Angst, ihren Freund zu verlieren, ist offenbar der Motor aller Handlungen der 23-Jährigen gewesen. Alle anderen Motive hatten von befragten Zeugen entkräftet werden können. In finanzieller Not wäre die Familie eingesprungen, der Arbeitgeber hatte deutlich davon gesprochen, die Schwangerschaft wohlwollend zu begleiten und viele Freunde und Bekannte hatten Hilfe angeboten. Das eigene Leben mit ihrem Partner ohne Einschränkungen fortführen zu wollen, dass „ohne Rücksicht auf Verluste“ das Neugeborene dafür geopfert werden müsse, zeuge von einer so „krassen Selbstsucht“, dass niedere Beweggründe als Mordmotive gegeben seien, so der Staatsanwalt. Alle Alternativen seien der Reihe nach nicht ergriffen worden: Schwangerschaftsabbruch, der Besuch beim Arzt, das Sichanvertrauen in einem Gespräch und in der Tatnacht der Weg ins Krankenhaus oder zu einer Babyklappe. Nach der Tat sei die 23-Jährige seelenruhig schlafen gegangen und hätte sich nur wenige Stunden später mit den Freunden zum Kaffeetrinken getroffen. Der tote Säugling wurde erst drei Tage später entdeckt.

Angeklagte würde die Tat gerne ungeschehen machen

Laut Richter Maier bleibt dem Gericht gar keine andere Möglichkeit, als die Freiheitsstrafe auf lebenslänglich anzusetzen. Da hilft es auch nichts, dass die verteidigende Anwältin Rebecca Wurm darauf hinweist, dass sich ihre Mandantin geständig und kooperativ gezeigt habe. Ihre Forderung nach einem zweiten Sachverständigengutachten wurde ebenso abgewiesen wie ihre Aussage, die Tötung sei nicht durch Brutalität geprägt gewesen. Auch die Darstellung der Angeklagten als eine einsame Frau, die niemanden gehabt habe, dem sie sich anvertrauen konnte, und der ihr Leben in allen Bereichen entglitten sei, lässt das Gericht nicht gelten.

„Das Strafrecht unterscheidet nicht, ob ein Mensch acht Minuten alt ist oder acht Monate oder acht Jahre“, sagt Richter Maier. „Es unterscheidet auch nicht, ob dieser erwünscht ist oder beliebt. Der Rechtsschutz wird allen gleichermaßen gewährt.“ In ihren letzten Worten an das Gericht spricht die 23-Jährige davon, wie gern sie die Tat ungeschehen machen würde. „Nicht für mich, aber für meine Tochter.“