Krieg in der Ukraine:Scholz fordert mehr Unterstützung für Kiew

Krieg in der Ukraine: Ein Anwohner beseitigt Schutt aus einem zerstörten Gebäude in Kiew nach einem russischem Raketenbeschuss Anfang des neuen Jahres.

Ein Anwohner beseitigt Schutt aus einem zerstörten Gebäude in Kiew nach einem russischem Raketenbeschuss Anfang des neuen Jahres.

(Foto: Genya Savilov/AFP)

Die russischen Angriffswellen verschärfen den Munitionsmangel der Ukraine, gerade bei der Luftverteidigung. Der Bundeskanzler mahnt ungewöhnlich deutlich die EU-Partner, ihr Engagement zu verstärken.

Von Daniel Brössler und Georg Ismar, Berlin

Wenn Christian Mölling den Blick in die Glaskugel wagt, sieht er da Folgendes: "Da kommen wir in eine Situation hinein, in der es einen hektischen Aktivismus geben wird. Weil der Moment näher rückt, in dem die Ukraine möglicherweise wirklich leer geschossen ist", sagt der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Sowohl bei der Artillerie-Munition als auch bei der Flugabwehr. Und dann ist guter Rat teuer."

Möllings kritische Lagebeschreibung deckt sich mit dem, was auch das Bundesverteidigungsministerium und das Kanzleramt bewegt - die jüngsten Angriffswellen der russischen Armee auf Gebiete in der gesamten Ukraine haben diese Sorgen noch einmal verstärkt. Zwar sind dank der Luftverteidigungssysteme Großstädte und Kraftwerke viel besser geschützt als an den kalten Tagen des Vorjahres, als man überlegt hat, Kiew zu evakuieren. "Aber die Russen versuchen, mit den vielen Angriffen die Luftverteidigung zu überlasten, und hoffen, dass die Ukraine sich leer schießt", bilanziert Mölling. "Das ist vor allem bei den teuren Raketen, wie für die Patriots, ein großes Problem. Da gibt es langsam große Lücken." Leider sei im Westen jenseits aller Waffen- und Panzer-Debatten völlig vernachlässigt worden, wie lange die Fertigung komplexer Munition dauert. "Die Russen können ja auch rechnen und nutzen diese Schwäche aus."

Lieferung erst in drei Jahren

Entscheidend für die Durchhaltefähigkeit der Ukraine sei "Munition, Munition, Munition", sagt auch Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Lagezentrums Ukraine im Verteidigungsministerium. Zwar liefert Deutschland vor allem für die Luftverteidigung viel, so sind zwölf Luftverteidigungssysteme vom Typ Iris-T SLM bisher zugesagt worden, aber die dafür nötigen Lenkflugkörper sollen je Stück fast eine Million Euro kosten - und der Nachschub kommt nicht schnell genug. Ebenso wird über einen Mangel an Lenkflugkörpern für die Patriot-Systeme geklagt - die kommen bisher vorrangig aus den USA, aber wegen der Blockaden im US-Kongress ist der Nachschub nun unsicherer geworden.

Zwar hat die Nato gerade einen Auftrag im Wert von 5,1 Milliarden Euro zur Produktion von bis zu 1000 Patriot-GEM-T-Flugkörpern im oberbayerischen Schrobenhausen vergeben, an ein Joint Venture von Raytheon und MBDA. Doch das zielt vor allem auf die Sicherung des europäischen Luftraums ab. Ein MBDA-Sprecher betont, die erste Lieferung sei in drei Jahren geplant, "Stand heute soll an Deutschland, Niederlande, Rumänien und Spanien geliefert werden." Sicher wären dann auch Lieferungen an die Ukraine denkbar, aber das Beispiel zeigt, wie lang die Vorlaufzeiten sind.

"Das große Versäumnis insbesondere der Europäer ist, dass sie die Produktionskapazitäten nicht hochgefahren haben", sagt Nico Lange, Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz und früher Leiter des Leitungsstabes im Verteidigungsministerium. Um da Abhilfe zu schaffen, müsse man der Industrie für zehn Jahre eine Abnahmegarantie geben. Dann würden Unternehmen das tun, wovor sie sich sonst scheuen: neue Fertigungskapazitäten aufbauen, Leute einzustellen, langfristig investieren. "Das Liefern aus den Beständen kommt jetzt erkennbar an Grenzen." Die Russen würden verstärkt mit Kinschal-Raketen angreifen, "gegen die Sie nur was mit moderneren Lenkflugkörpern ausrichten können, sie versuchen gezielt, möglichst viel wertvolle Munition rauszulocken". Hier gebe es bei der Ukraine die größten Engpässe. "Wir produzieren und liefern die Munition für die Luftverteidigungssysteme viel zu langsam."

Scholz telefoniert die EU-Kollegen ab

Wie sehr das Thema auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) umtreibt, zeigt eine ungewöhnlich deutliche Mahnung an die EU-Partner. Scholz findet, dass etliche EU-Länder nicht genug tun, um die Ukraine in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen. "So wichtig unser deutscher Beitrag ist, wird er allein nicht ausreichen, um die Sicherheit der Ukraine dauerhaft zu gewährleisten", sagte Scholz am Rande eines Treffens mit Luxemburgs neuem Premierminister Luc Frieden im Kanzleramt. Er rufe "deshalb die Verbündeten in der Europäischen Union dazu auf, ihre Anstrengungen zugunsten der Ukraine ebenfalls zu verstärken".

Krieg in der Ukraine: Bundeskanzler Olaf Scholz.

Bundeskanzler Olaf Scholz.

(Foto: Carsten Koall/dpa)

Das verband Scholz gleich mit einer Art Ultimatum. "Spätestens bis zum Europäischen Rat am 1. Februar brauchen wir einen möglichst präzisen Überblick darüber, welchen konkreten Beitrag unsere europäischen Partner zur Unterstützung der Ukraine in diesem Jahr leisten werden", sagte er.

Nach den Vorstellungen des Kanzlers sollen die EU-Länder nun bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Pläne für die militärische Ukraine-Hilfe beziffern. Scholz hat am Dienstag damit begonnen, Kollegen in großen EU-Ländern abzutelefonieren und zu verstärktem Einsatz für die Ukraine zu drängen. Dabei wird er auf das deutsche Beispiel verweisen. Eben erst hat die Bundesregierung beschlossen, die militärische Ukraine-Hilfe in diesem Jahr auf acht Milliarden Euro zu verdoppeln. Angesichts der Haushaltslage steht die Ampel dabei unter verstärktem Rechtfertigungsdruck. Scholz muss fürchten, dass höhere Ausgaben für die Ukraine bei gleichzeitigen Kürzungen die ohnehin gereizte Stimmung im Land weiter anheizen.

Deutschland gibt nach den USA am meisten

Nach einer Statistik des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel hat Deutschland von Beginn des russischen Angriffskrieges bis Ende Oktober 2023 17,1 Milliarden Euro in die militärische Unterstützung der Ukraine investiert oder zugesagt. Damit steht es weltweit nach den USA mit 43,9 Milliarden Euro auf Platz zwei und innerhalb der Europäischen Union mit großem Abstand an der Spitze. Drittgrößter Geber ist das Nicht-EU-Land Großbritannien mit 6,6 Milliarden Euro. Aus EU-Mitteln, anteilig ebenfalls von Deutschland finanziert, wurden 5,6 Milliarden Euro bereitgestellt. Zweitgrößter Geber von bilateraler Militärhilfe aus dem Kreis der EU-Staaten ist das vergleichsweise kleine Dänemark mit 3,5 Milliarden Euro, gefolgt von Polen und den Niederlanden mit je drei und 2, 5 Milliarden Euro.

Auffällig ist die Zurückhaltung der Militärmacht Frankreich. Mit lediglich 500 Millionen Euro liegt es nicht nur hinter Italien, sondern auch der kleinen Slowakei. So dürfte sich der Appell des Kanzlers vor allem an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron richten. "Europa muss demonstrieren, dass es eng an der Seite der Ukraine steht, an der Seite der Freiheit, des Völkerrechts und der europäischen Werte", betont der Kanzler. "Wir jedenfalls werden die Ukraine unterstützen, so lange, wie dies nötig ist."

Auch im Bundestag wird die Mahnung des Kanzlers geteilt. Angesichts der brenzligen Lage der Ukraine und der Unsicherheit über die künftige US-Unterstützung mahnt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), mehr EU-Engagement an. So habe die EU mal eine Million Schuss Munition bis März 2024 zugesagt. Davon sei man sehr weit entfernt. "Daher sollte das Weimarer Dreieck (Deutschland, Polen, Frankreich) zusammen mit Großbritannien die Initiative für ein großes neues Ukraine-Hilfspaket starten, vor allem in Sachen Luftverteidigung und Munition."

Und sollten die acht Milliarden Euro aus Deutschland nicht reichen, darf aus seiner Sicht auch ein Lockern der Schuldenbremse kein Tabu sein. "Am Ende kann und darf die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine und damit auch unsere Sicherheit nicht am Geld scheitern", betont Michael Roth.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in der Ukraine
:Putin rüstet auf

Russland hat die Luftangriffe auf die Ukraine verstärkt und erhöht offenbar die Waffenproduktion. Was das für den Krieg bedeutet.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: