Lauflern­hilfen Über­flüssig, gefähr­lich – aber immer noch nicht verboten

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Lauflern­hilfen - Über­flüssig, gefähr­lich – aber immer noch nicht verboten

Babywalker: Macht Kindern Laune, ist aber gefähr­lich. © Getty Images / Cavan Images

Stürze, Verbrühungen, Vergiftungen: Immer wieder ereignen sich schwere Unfälle mit Lauflern­hilfen – mit schlimmen Folgen für Klein­kinder. Kinder­ärzte und die Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder warnen daher vor Lauflern­hilfen, die auch unter den Namen „Gehfrei“ oder „Babywalker“ bekannt sind. Eine verbesserte EU-Sicher­heits­norm reiche nicht aus. Auch die Stiftung Warentest riet nach einem Test bereits 1997 vom Kauf ab.

Gehfrei ab 50 Euro aufwärts

Immer noch finden sich in Onlineshops Lauflern­hilfen mit Rädern. Ab etwa 50 Euro aufwärts sind die bunten Gestelle zu finden. Die auch „Babywalker“ oder „Gehfrei“ genannten Geräte sind für Kinder im Alter von 6 bis 15 Monaten konzipiert, die noch nicht laufen können. Sie bestehen aus einem Plastikgestell auf Rädern mit integriertem Sitz. Die Klein­kinder schubsen sich mit den Füßen an. Sie erreichen damit bis zu zehn Stundenkilo­meter. Dabei krähen sie oft vor Vergnügen. Leider oft nur bis zum ersten Treppen­sturz oder der ersten Möbelkante, an die sie stoßen.

Kinder­ärzte warnen und fordern ein Verbot der Babywalker

„Lauflern­hilfen sind eine der schädlichsten Erfindungen für Kinder. Sie verursachen jedes Jahr zahlreiche schwere Unfälle, manche davon enden sogar tödlich. Die EU sollte diese Geräte endlich konsequent verbieten anstatt nur neue Sicher­heits­normen für sie fest­zulegen.“ Mit diesen Worten kommentierte der Präsident des Berufs­verbands der Kinder- und Jugend­ärzte im Jahr 2009 eine neue europäische Sicher­heits­norm für Lauflern­hilfen. Getan hat sich seither wenig. Exakte Verkaufs­zahlen sind nicht öffent­lich. Bei der Such­maschine Google geht die Zahl der Anfragen für die Such­begriffe „Gehfrei“ und „Lauflern­hilfen“ aber eher nach oben als nach unten.

Kanada hat es vorgemacht

In Kanada hingegen sind „Babywalker“ schon seit dem Jahr 2004 verboten. Selbst der Weiterverkauf auf Flohmärkten oder auf Onlinemärkten ist unter Strafe gestellt. Und in den USA ging die Zahl der Unfälle mit den rollenden Gestellen drastisch zurück, nachdem in mehreren Informations­kampagnen vor den Geräten gewarnt wurde. Allerdings ist die Reich­weite solcher Kampagnen begrenzt, so der Berufsverband der Kinderärzte: „Wie wir immer wieder in unseren Praxen sehen: Lauflern­hilfen sind besonders verbreitet in Haushalten, in denen die Eltern keinen Zugang zu Geschriebenem haben. Die Folgen tragen dann die Kinder.“

6 000 verletzte Kinder allein in Deutsch­land

Zahlen aus neun europäischen Ländern der Daten­bank Injury Database (IDB) zeigen, dass bei Unfällen mit Lauflern­hilfen mehr als 90 Prozent der auftretenden Verletzungen Kopf­verletzungen sind, 31 Prozent sogar mit Schäden des Gehirns. Selbst der Name Lauflern­hilfe ist schon irreführend. Denn das Gleichgewicht und die dafür nötige Muskulatur entwickeln Klein­kinder mit den „Hilfen“ später als ohne – sie sitzen ja, statt gehen zu lernen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder schätzte vor einigen Jahren, dass sich jähr­lich 6 000 Kinder in Deutsch­land mit Lauflern­hilfen verletzen. Betroffen seien Kinder zwischen sechs und zwölf Monaten.

Kleinkind fast ertrunken

Wie gefähr­lich die Lauflern­hilfen sind, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2011: Damals war ein sieben Monate altes Kleinkind fast ertrunken. Wie die Bundes­arbeits­gemeinschaft (BAG) berichtet, saß das Kind mit weit auseinander gespreizten Beinen in einer Lauflern­hilfe. Das Kind beugte sich nach vorn. Dadurch tauchte sein Kopf in einen gefüllten Wasser­eimer. Der große Abstand zwischen beiden Beinen verhinderte laut BAG, dass die Lauflern­hilfe umstürzte. Derart einge­klemmt, konnte sich das Kind nicht mehr aus seiner Lage befreien und wäre beinahe ertrunken. Es über­lebte. Allerdings erlitt es aufgrund des Sauer­stoff­mangels irre­versible schwere Hirn­schäden.

Warum Lauflern­hilfen gefähr­lich sind

Die Stiftung Warentest hat Babywalker bereits 1997 getestet (Test 11/97). Fazit des Tests: Alle getesteten mobilen Lauflern­hilfen, in denen das Kind sitzt, sind unnötig und gefähr­lich. Die Stiftung Warentest riet damals grund­sätzlich vom Kauf der getesteten Produkte ab. Selbst unter elterlicher Aufsicht lassen sich schwere Unfälle nicht ausschließen.

  • Geschwindig­keit. Kinder können mit Babywalkern durch Räume und Flure flitzen und dabei gegen Tischkanten oder Regale knallen und sich verletzen. Sie erreichen mit den Geräten kurz­zeitig Geschwindig­keiten von bis zu zehn Stundenkilo­metern. Eltern unterschätzen häufig die Geschwindig­keit und reagieren zu spät.
  • Stürze. Kinder können Treppen herunter­fallen oder über Hinder­nisse stürzen. Häufige Unfall­folgen: Schädelbrüche, Gehirn­erschütterungen oder Arm- und Beinbrüche.
  • Verbrühungen. Kinder stehen mehr oder weniger aufrecht in den Lauflern­hilfen. Sie erreichen so auch Gegen­stände, die höher liegen und bringen sich damit in Gefahr – etwa, wenn sie brodelnde Töpfe oder heiße Teetassen von Herd oder Tisch ziehen, oder sich giftige Medikamente von der Kommode holen.
  • Verzögerung. Kinder, die häufig im Babywalker sitzen, haben oft eine verlang­samte motorische Entwick­lung – und lernen später laufen als andere Kinder. Bereits 1997 sagte der Experte Dr. Norbert Bier im Interview mit der Stiftung Warentest: „Zwillings­unter­suchungen haben klar gezeigt, dass Kinder, die viel Zeit im Gehfrei verbracht haben, erst später laufen lernten als ihre Zwillings­geschwister, die weniger darin saßen. Vor allem entwick­lungs­gestörte Kinder können sich zudem pathologische Bewegungs­muster aneignen. Behand­lungs­bedürftige Spitzfuß­stel­lungen und eine Verschlechterung spastischer Bewegungs­störungen sind hier zu nennen.“

Fachleute sind sich einig: Die geltende europäische Norm für Lauflern­hilfen reicht nicht aus. Die Geräte sind über­flüssig und gefähr­lich. Eltern sollten auf einen Kauf unbe­dingt verzichten, auch wenn sie unter Hinweis auf die Norm als scheinbar sicher angepriesen werden.

Alternative: Lauflernwagen

Lauflernwagen, in denen die Kleinen nicht drinsitzen, sondern sich nur fest­halten können, sind nicht so gefähr­lich wie Babywalker und kräftigen die Muskulatur viel besser. Sie sehen oft aus wie kleine bunte Rollatoren. Außerdem gibt es noch Modelle ganz ohne Rollen, an denen sich die Krabbler hoch­ziehen und abstützen können. Oder ringförmige Gestelle ohne Rollen, in denen die Knirpse das Stehen üben können – ohne dabei Tempo aufzunehmen.

Diese Meldung ist am 15. August 2011 auf test.de erschienen. Sie wurde am 7. Januar 2021 aktualisiert.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • neas am 21.01.2017 um 19:36 Uhr
    Berufung auf 20 Jahre alte Tests

    Auch ich kann nur sagen, dass die beschriebenen "Unfälle" keinerlei Rückschlüsse auf das "Gefahrenpotential" der Lauflernhilfen zulassen.
    Ein Kind ertrinkt fast im Wassereimer, weil es in der Lauflernhilfe sitzt und damit nicht komplett umgekippt ist ... aha ... und was haben die Eltern in der Zeit gemacht?
    Bis neurologische Schäden, aufgrund von Sauerstoffmangel entstehen, muss das Gehirn längere Zeit auf Sauerstoffzufuhr verzichten. Bis es soweit kommt, vergehen in der Regel sogar Minuten! Ja Minuten, weil im Blut noch Sauerstoff enthalten ist und auch Restluft in der Lunge ...
    Oder ein Kind greift nach einem Topf vom Herd ... liegt nicht an der Gehhilfe, sondern der unfähigen Mutter/dem unfähigen Vater!
    Wenn ich Koche, achte ich sehr genau darauf, wo mein Sohn ist und was er macht ...
    Wer das anders macht, sollte lieber keine Kinder haben!
    Aber eigentlich wollte ich Testergebnisse sehen, die nicht schon 20 Jahre alt sind. Somit ist der Artikel reine Panikmache!

  • Julius15 am 22.09.2015 um 12:45 Uhr
    Lauflernwagen/Gehfrei

    Liebes Stiftung Warentestteam,
    Wie könnt ihr euch auf einen Test, den Ihr vor 18 Jahren durchgeführt habt, mit den heutigen Produkten gleichsetzen? Auch die in diesem Artikel erwähnten Untersuchungen sind so alt. Bitte, wenn Ihr den Eltern, die nunmal nach solchen Artikeln googlen und bei euch landen, einen gefallen erweisen möchtet, dann nehmt euch den neuen Geräten an und bitte publiziert nicht Artikel die auf vielleicht überholten Wahrheiten basieren. Das schadet dem Image, von dem Ich eigentlich dachte es wäre bei euch ein gutes, und hilft den Menschen nicht wirklich weiter. Auch sollten die Nutzer mal darüber nachdenken, nicht andere anzugreifen, sondern selber ihr gefährliches Halbwissen für sich behalten. Ich weiss nicht ob die heutigen Lauflernhilfen etwas taugen, aber ebenso wenig Ihr Nutzer, und auch nicht die Warentester, weil wie es oben geschrieben steht nicht getestet ist. Und die Polemik im o.a. Artikel ist etwas aus der Bahn.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 26.05.2015 um 13:13 Uhr
    Keine Einschätzung von nicht geprüften Produkten

    @P-Kay: Vielen Dank für die Nachfrage. Leider können wir zu Produkten, die wir nicht untersucht haben, keine Einschätzung abgeben. Wir leiten Ihren Testwunsch an das zuständige Untersuchungsteam gerne weiter. (spl)

  • P-Kay am 24.05.2015 um 14:33 Uhr
    Lauflernwagen

    Hallo liebes Stiftung Warentest Team. Wie sieht es denn mit einem aktuellen Lauflernwagen aus, wo die Kinder vor sich her schieben? Sind diese evtl. nicht überflüssig und ungefährlich?
    Viele Grüße!

  • Gelöschter Nutzer am 27.08.2013 um 09:54 Uhr
    MarionL

    Für dich ist der Bericht wenig hilfreich, weil du ihn nicht verstehst.
    Ist doch egal, mit welcher Verzögerung die Zwillinge laufen konnten, es war eine Verzögerung da! Fertig! Das reicht doch.
    Wenn dir die Infos nicht reichen, kannst dich ja auch anderweitig informieren...z.b. Bei deinem Kinderarzt. Der wird die auch davon abraten!